Keith - Vice and virtue

Lucky Number / Rough Trade
VÖ: 10.04.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Hauptsache ankommen

Zugegeben, der Vergleich klingt anfangs vielleicht etwas gemein und unfair, aber: Als die Spice Girls 1996 mit ihrem Debütalbum auf die Welt losgelassen wurden, um eben diese zu erobern, grenzte das schon fast an eine Zirkusshow. Fünf wilde Kostüme, verrückte Tanz-Choreografien, laute, schrille Songs und "Girl Power" an allen Ecken und Enden. Das ausgeklügelte Marketing-System hinter den Spice Girls war dermaßen umfangreich, dass es sogar zu einem Kinofilm kam, und dann gibt es ja auch noch diese großartige Aufnahme von Prinz Charles, dem gerade genüsslich von einigen der Girls an den royalen Popo gefasst wurde. Die Spice Girls galten Mitte der 90er als "The next big thing", die Königinnen der Popmusik, die sogar über zehn Jahre später noch in den Medien präsent sind - und das nicht nur wegen des clever geplanten Zeitpunkts ihres Comebacks. Im krassen Gegensatz dazu gibt es nun Keith, ebenfalls aus England, ohne Werbekampagne im Rücken, dafür mit einem Album, bei dem kaum ein Auge trocken bleiben dürfte. "The next big thing" werden Keith nicht genannt, aber das, und das ist das schönste, juckt sie auch nicht besonders.

Während es bei den Spice Girls manchmal zuging wie im Dschungel, nur nicht ganz so geordnet, stehen Keith mit ihrem zweiten Album "Vice and virtue" für bodenständige, handgemachte Musik, die aus dem Herzen kommt. Sie wollen weder die wildesten Affen im Gehege sein noch eben jene ansprechen. Keith machen Musik, irgendwo zwischen Rock und Pop für den Otto-Normal-Verbraucher, so wie sie selbst wahrscheinlich auch welche sind. Wenn "Lullaby" sich ins Ohr drängt und dort festsetzt, spielt das eigene Kopfkino schon den Film ab: Sommer, im Auto unterwegs, Richtung Urlaub, Strand, See oder auch nur zu Freunden, die Sonne scheint ins Gesicht und das Gemüt macht Freudensprünge. Auch "Don't want to be apart" bringt den Hörer an andere Orte, etwa in eine schummerige kleine Bar in London, mit dieser anziehenden, doch mysteriösen Person am Nebentisch, die ständig rüberschaut. Irgendwie düster klingt das, aber nicht auf eine beängstigende Art - es macht neugierig auf mehr, und darin liegt ja oft der größte Spaß.

"You don't know" klingt nach Abenteuer, Großstadt, vielen Menschen. Sicher ein großartiger Song auf Konzerten, lohnt es sich doch, ihn in voller Lautstärke zu hören und am besten so laut mizugröhlen, dass die Bewegungen für eine ordentliche Luftgitarre fast schon von alleine kommen. Stück für Stück wird der Hörer auf eine Reise geschickt, und so befindet er sich etwa bei "With me" am Strand. Da klimpert die Gitarre, der mehrstimmige Gesang bleibt entspannt und gelassen und die Szenerie, im Sand an einem knisternden Lagerfeuer zu sitzen, kommt nicht von ungefähr. Jetzt, wo der kalte, nasse Winter sich allmählich geschlagen geben muss gegen Mutter Sonne und König Sommer, wird es nicht nur warm im Herzen, wenn Keith sich und ihre Hörer mit von Insel zu Insel nehmen, von der Bar um die Ecke zur Gartenfeier im Wonnemonat Mai, vom Bett mit der oder dem Liebsten bis ins Auto, Ziel: unbekannt. Das kann sich jeder selbst ausdenken. Sicher ist, dass bei den letzten Tönen von "Vice und virtue", dem Titeltrack, jeder irgendwo angekommen ist, und dass sich die Reise gelohnt hat.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Lullaby
  • You don't know
  • With me
  • Vice and virtue

Tracklist

  1. Can't see the faces
  2. Lullaby
  3. Up in the clouds
  4. Runaway town
  5. You don't know
  6. Don't want to be apart
  7. Thick skin
  8. Lucid
  9. With me
  10. Vice and virtue
Gesamtspielzeit: 45:40 min

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