Bill Callahan - Sometimes I wish we were an eagle

Drag City / Rough Trade
VÖ: 27.03.2009
Unsere Bewertung: 9/10
9/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Free as a bird

Als Mensch, der sich anmaßt, Musik zu bewerten und zu verschriftlichen, ist man oft dazu verführt, den Psychologen zu spielen. Mit dem vermeintlichen Wissen jener Disziplin wagt man sich heran, das Gefüge von Notensträngen und Texten zu durchleuchten, um den Musiker dahinter in nackter Offenheit zu suchen. Zumindest bei einer Platte, die einem den Ansatz einer Chance dazu bietet. Aber nur selten, das sei zugegeben, ist der musikjournalistische Schreiber wirklich vom Fach der intersubjektiven Seelenschau. Psychologische Kenntnisse werden also ersetzt durch eine tief blickende Hingabe beim Hörprozess und bildhafte Fantasie. Und trotz dieser intensiven Aufmerksamkeit ist man nicht davor gefeit, den grobschlächtigsten aller Fehler zu begehen: nämlich den Musiker in eine Ecke zu vefrachten, ihm also eine feststehende, unbeirrbare Gemütsverfassung zuzuschreiben. Nicht ohne sich und die Musik mehrfach zu überprüfen, aber doch manchmal ohne den Blick auf die Feinheiten, auf die sanften Übergänge und zu entschlüsselnde Symbolismen.

Das jüngst erschienene "Beware" von Bonnie 'Prince' Billy war einer dieser Fälle, in denen sich der Rezesent, etwas verloren in einem Überschuss an kryptischen Zeilen, dazu entschied, den Musiker in eine Richtung hin zu psychologisieren. Sicherlich nicht falsch, denn einige offensichtliche Hinweise hatte es gegeben, dennoch mit einem gewissen Risiko der Fehlinterpretation. Aber so konnte man auch diese Analyse zu den Akten legen. Wie ärgerlich erscheint es da im ersten Moment, wenn sich ein Künstler so rein gar nicht katalogisieren lassen will. Gerade mal eine Woche nach dem man Bonnie 'Prince' Billy seinen anhaltenden Seelenfrieden zugesprochen hat, erscheint Bill Callahan und verwirrt den Rezensenten zutiefst. Der Stempel mit der Aufschrift "glücklich" oder "frohlockend" passt nicht. Die Notiz "wieder am Rande des Abgrunds" reicht auch nicht aus, um "Sometimes I wish we were an eagle" schnell abzuhandeln. Denn Callahan führt nicht etwa seinen Weg von "Woke on a whaleheart" fort, jenem ersten Album, das nicht mehr unter dem Pseudonym Smog erschien.

Ein Album, das unter anderem geprägt war von Callahans Liaison zu Labelkollegin und Harfenengel Joanna Newsom und dem daraus resultierenden Drang nach innerem Gleichgewicht. Neue musikalische Felder graste Callahan ab, integrierte Soul, sublimen Funk und Chanson, eine expressive Backgroundsängerin und dominierende Basslinien. Produktionstechnische Höhen fanden sich erstmals neben breiten Arrangements. Anno 2009 endet Callahans Suche nach der beschwingenden Balance, so wie auch die Beziehung zu Newsom vor geraumer Zeit ihr Ende fand. "Anyone who ever had a hole in the heart knows how hard it is to start a new day", sang der inzwischen 42-jährige Amerikaner einst 1991 zu noiseverzerrten Kassettenrekordergeräuschen. Wer nun abermals innere Zerissenheit erwartet, so wie sie Callahan wieder und wieder auf erdrückende oder auch subtile Weise geboten hat, wird hier nicht fündig werden. "Sometimes I wish we were an eagle" ist kein Fall in philosophisch ausgeschmücktes Selbstmitleid, kein Sturz in kehlenzuschnürenden Existenzialismus und depressive Verstimmung. Die Reife Callahans zeigt sich auf seinem nunmehr 13. Album in weitreichender, kluger Selbstreflexion.

"I started telling the story without knowing the end / I used to be darker / Then I got lighter / Then I got dark again / Something too big to be seen was passing over and over me", lässt Callahan grüblerisch in seinem dunklen Bariton im ersten Track "Jim Cain" verlauten. Im Hintergrund zupft eine ramponierte Akustische unablässig die gleiche Melodie. Elektrische Gitarrensaiten halten sich mit einzelnen Intervallen vornehm zurück. Weitläufige, zart eingeführte Streicher fügen sich der vorgegebenen Melodie, verzerren und spitzen sich zu, während Callahan seine essenziellesten Zeilen singt. Indem sie es an Lautstärke und Vormachtsstellung vermissen lassen und sich mit dem akustischen Minimalismus-Folk von Smog vereinen, entwickeln sich die breiten Arrangements des Vorgängers weiter. Dieser kompositorische Sprung nach oben zeigt sich auch im wunderschönen "The wind and the dove", das enigmatisch und dunkel mit mantra-artigen Gesang von Callahan, verschütteten Pianofetzen und arabischem Flötenspiel weit, weit aus dem Off beginnt. Erst das sehnsüchtige Aufbegehren der flimmernden Orgel und die langezogenen Violinen stürzen das unscheinbare Düstere, lassen den Song sogar während eines zweiten Refrains nahe an aufblitzende Sonnenstrahlen heran.

Callahans schon früher hevorstechende Naturverbundenheit und -symbolismen, die auch sein bisheriges Meisterstück "Red apple falls" einkleideten, sprechen auf "The wind and the dove" eine Sprache von verlorener Liebe und bestehenden Hoffnungen, von der Suche nach neuen Zielrichtungen und dem Finden von Antworten. "My friend", einer der besten Schöpfungen aus Callahans Kopf und Feder, wird dagegen deutlicher: "I will always love you", singt er in stoischem Ton, mit Unterstützung von sphärischen Keyboardstimmen, minimalistischen Drums und grandiosem Gitarrenspiel, bevor er mit seiner stimmlich-einnehmenden Monotonie bricht und ein rauhes "my friend" hinterherschiebt. So brachial, so intensiv, so innig und ehrlich, als fielen Aggression, Trauerzustand und Glückseligkeit in diesem einen kurzen Augenblick zusammen. Als habe Callahan die immerwährende Introspektion satt, als breche er mit seinen inneren Gesetzmäßigkeiten. Die anschließende rhythmisch vertrackte Großtat "All thoughts are prey to some beast", mit pluckerndem Bass und verhangenen Gitarrentönen an das 2001er Album "Rain on lens" erinnernd, gibt mit ihrem bissigen atheistischem Grundton den Weg frei für das abschließende, zehnminütige "Faith/Void".

Die symbolischen Andeutungen, all die Fragestellungen und Brüche der vorangegangenen Tracks laufen in diesem strahlend schönen Song zusammen. Die vollmundigen, satten Streicherarrangements lassen den hintergründigen Raum in die Breite treten. Der wohlige Rhythmus, der sich mit bittersüßen Countryanleihen schmückt, bleibt repetitiv. Eine lange Zeit bleibt Callahan auf einen Satz fixiert - "It's time to put God away" - und macht damit alle Versuche zunichte, ihn mit einer abschließenden Psychoanalyse zu greifen. "No more must I strive to find my peace in a lie", fügt er an, nicht betrübt über die Sinnlosigkeit des Lebens. Erleichterung über die Erkenntnis der Abstrusität aller Existenz belebt "Faith/Void" noch einmal. Fassungslos über all diese kompositorische, fast romantisierende Formvollendung und liebreizende Hoffnunglosigkeit hört der Rezensent zu, wie Callahan weitere naturverbundene Fragen nachschiebt. Wie er sich frei macht von Glück und Unglück, frei von Schicksal und göttlicher Fügung, beseelt von der Diesseitigkeit. Kurz bevor der Vorhang fällt, streifen die Gedanken nach 1996, als Callahan attestierte: "Life's a joke / A waiting game." 13 Jahre später, auf seinem 13. Album, hat er seinen Frieden gefunden, indem er mit ihm gebrochen hat.

(Markus Wollmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Eid ma clack shaw
  • Rococo zephyr
  • My friend
  • Faith/Void

Tracklist

  1. Jim Cain
  2. Eid ma clack shaw
  3. The wind and the dove
  4. Rococo zephyr
  5. Too many birds
  6. My friend
  7. All thoughts are prey to some beast
  8. Invocation of ratiocination
  9. Faith/Void
Gesamtspielzeit: 48:16 min

Im Forum kommentieren

edgar

2012-06-12 00:05:12

ja machina versuch es nochmal! es lohnt sich

The MACHINA of God

2009-08-12 21:59:11

Soll ich es nochmal versuchen? Hat mir bei den zwei ersten Durchgängen so mal gar nichts gegeben.

sugar ray robinson

2009-08-12 21:40:10

Ich steh ja total auf die "Wild Love", aber ich beschäftige mich auch erst seit 5 Monaten mit den Sachen und mir fehlen noch die ersten 3 Alben und die "Rain On Lens".

georg

2009-08-12 21:21:09

Ja klar, die Setlist war so ähnlich schon zu erwarten, aber meine Lieblingsalben von ihm sind halt Red Apple Falls, Knock Knock und The Doctor Came At Dawn und von denen kam nur Cold Blooded Old Times, was ich ein bisschen schade fand, da ich zumindest ein wenig auf Songs wie Left Only With Love, The Morning Paper, etc. gehofft hatte.

sugar ray robinson

2009-08-12 20:34:50

"Diamond Dancer" und "Rock Bottom Riser" waren die letzten beiden Singles, von daher zu erwarten. Und "Our Anniversary" scheint ein Kritiker bzw. Fan Liebling zu sein. Ich hätte vielleich auch andere Stücke von Supper ausgewählt. Schade eigentlich auch, dass nichts von "Red Apple Falls" kam...

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