Fehlfarben - Live hier & jetzt

Ata Tak / Broken Silence
VÖ: 27.03.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die singende Herrentoilette

Es gibt Bands, die nur alle Jubeljahre eine Platte veröffentlichen. Fehlfarben zum Beispiel sind so sparsam, dass sie sogar mit den eigenen Jubelanlässen meist zu hadern pflegen. So stellte die Band vor einiger Zeit erst mit Verzögerung fest, dass es sie bereits ein Vierteljahrhundert gibt, und spielte ihre markantesten Songs für "26½" deswegen erst eineinhalb Jahre später mit durchweg illustren Gastsängern noch einmal neu ein - die etwas andere akustische Festschrift. Dass dann doch pünktlich zum dreißigjährigen Bestehen nun dieses Live-Album erscheint, sollte man also nicht allzu hoch hängen - zumal "Live hier & jetzt" ein langweiliger Best-of-Charakter weitgehend fehlt.

Auf ganz offensichtliche Hits wie "Ein Jahr (Es geht voran)", "Club der schönen Mütter" oder die letzte Single "Politdisko" verzichtet die Band gleich komplett - zugunsten eines geschmackssicheren Querschnitts aus ihrem umfangreichen Repertoire. Mit robustem, ansatzweise groovendem Punkrock, elektronischen Spitzen und inhaltlichem Anspruch zwischen Kulturpessimismus und Einsamkeitsklage. Und den vermittelt keiner besser als Sänger Peter Hein, der gerade live von jeher in der Rolle als Wortführer und Rampensau aufgeht. Stets gut gekleidet und mit einer Sprachgewandtheit ausgestattet, aus der dann Wortschöpfungen wie "Klojahre" für das Jahrzehnt mit den beiden Nullen hervorgehen oder der Zeilen wie "Keine Atempause / Umgeschichtet wird die Macht" als listige Selbstreferenz zur Großwetterlage der Nation entspringen. Obwohl es Heins lyrischem Ich im Großteil der Texte alles andere als gut geht, ist und bleibt er einer der wenigen Typen, die vermutlich sogar noch angetütert auf der Herrentoilette Haltung und Würde bewahren.

Dass "Live hier & jetzt" kein komplettes Konzert wiedergibt, sondern sich aus einem Zusammenschnitt mehrerer Stationen der "Handbuch für die Welt"-Tour zusammensetzt, spielt letztendlich keine Rolle, da Fehlfarben auch musikalisch an vielen Orten zu Hause sind. "Wilde 13" etwa ist auch nach 27 Jahren noch der knorrige Post-Punk-Stampfmarsch durch die Institutionen, "Paul ist tot" ein desillusionierter Abgesang aufs eigene Anspruchsdenken und "Gottseidank nicht in England" eine übelgelaunte Ode an das Scheitern. Die Klassiker mischen sich vorzüglich mit dem jüngeren Material, dem auch schon diverse Adern geschwollen sind. Den zynischen Tanzhit "Chirurgie 2010" oder die auf links gezogene Protesthymne "Die Internationale" kann sich die Band dann nämlich doch nicht verkneifen. Dass Hein und seine Mitmusiker nicht mehr die Jüngsten sind, ändert schließlich nichts daran, dass es immer noch genug auf der Welt gibt, über das man die Nase rümpfen kann. Auch im Hier und Jetzt musizieren Fehlfarben auf hohem Niveau an unwirtlicher Realität und aus den Fugen geratener Gesellschaft vorbei. Bohème pas de problème.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Gottseidank nicht in England
  • Chirurgie 2010
  • Die Internationale
  • Paul ist tot

Tracklist

  1. Gottseidank nicht in England
  2. Chirurgie 2010
  3. Teufel in Person
  4. Wilde 13
  5. WWW
  6. Geteilte Welt
  7. Am Ende das Meer
  8. Die Internationale
  9. Handbuch für die Welt
  10. Schlaflos nachts
  11. Paul ist tot
  12. Apokalypse
  13. Nichts erreicht meine Welt
Gesamtspielzeit: 50:10 min

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