Urlaub In Polen - Liquid

Strange Ways / Indigo
VÖ: 27.02.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Blech Walesa

Bei Georg Brenner und Jan Philipp Janzen muss man vor allem auf eins gefasst sein: auf vieles. Als wäre ihr drittes Album "Health and welfare" nicht schon verwirrend genug gewesen. Was es da nicht alles gab: Eine Trilogie mit schrittweisem Durchhangeln von A nach D. Stockenden Tiefkühltruhen-Soul mit Hui-Buh-Gospelchor. Eine höhnende Melissa-Etheridge-Coverversion. Musik zum Wiederschiefrücken des Weltbildes nach überstandener Indiepalooza-Verstopfung. Und trotzdem handelte es sich bei aller Schräglage um die bisher zugänglichste Platte des Kölner Duos. Doch auch so bleiben im Universum von Urlaub In Polen viele Dinge relativ. Zum Beispiel Dinge wie Eingängigkeit, Tanzbarkeit oder gar Pop.

All das hat "Liquid" nämlich zu bieten, wenn auch nicht in der Form, wie man es eigentlich erwarten würde. Gar nicht süß ist etwa der Opener "Sweet candy piper", ein störrischer Uptempo-Song mit betont missmutigem Gesang, in den auf halber Strecke ätzende Gitarren und Purzelbaum-Drums einfallen, miteinander Fangen spielen und sich dabei eine blutige Nase holen. Die Single "Theodore flames" wird anschließend von einer rigorosen Durchdrehsequenz vorangepeitscht, der ein ungelenker Polterbeat hinterherhechelt, bevor fein gesponnene Licks zumindest zwischendurch für ein bisschen Harmonie sorgen. Falls man sich bei so viel Hektik nicht schon längst auf die Kauleiste gelegt hat.

Ein Tempo, das dieses Album natürlich nicht die ganze Zeit über durchzuhalten vermag. Das elektronisch umpuschelte "Defender of the crown" ist vielleicht sogar der straighteste Popsong, den die Band je aufgenommen hat - und neben technoiden Bollereien, Fetzen aus dem Sprachprozessor und plötzlich aufpoppenden Acid-Lines ein willkommener Fixpunkt in dieser Kraterlandschaft, zumal sich in der zweiten Hälfte auch noch eiernder Hindernis-HipHop und Rumpelkammer-Rave dazugesellen. Und doch kommen Urlaub In Polen einfach nicht in den Techno-Club rein und müssen weiter durch den Indie-Keller taumeln.

Letztendlich verlassen sie den unbestimmten Eindruck, als hätte hier jemand Krautrock mit Synthesizern und Beats spielen wollen, den kein unter verbotenen Substanzen stehender Hippie je nachvollziehen könnte. Doch wenn "Liquid" mit etwas nicht in Verbindung gebracht werden will, dann sind es vermutlich zuallererst drogeninduziertes Gewummer und fuselbärtige Freakouts. Im Gegenteil: Die blickdichte Produktion erstickt jedes Lagerfeuer im Keim, und durch eine handelsübliche Clubtür passen die sperrigeren Soundbrocken erst recht nicht. Und doch wissen die zwei, wie man Songs mit dem Zeug zum Hit schreibt und treiben so ein cleveres Spiel mit der elektronischen Postmoderne. Unberechenbar, aber zwingend. Blechern, aber konsequent. Soll Janzens zweites Standbein Von Spar ruhig in trüber Psychedelia-Brühe fischen: Urlaub In Polen schwimmen weiter oben.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sweet candy piper
  • Theodore flames
  • Defender of the crown

Tracklist

  1. Sweet candy piper
  2. Theodore flames
  3. Defender of the crown
  4. Marseilles swell
  5. Sometimes love is just an airport
  6. Sequence I
  7. 100% free system
  8. Flicker
  9. The weekender
Gesamtspielzeit: 40:58 min

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