Marissa Nadler - Little hells

Kemado / Rough Trade
VÖ: 27.02.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Polterabend

Viele Künstler kann nicht nur nichts mehr schocken - sie haben auch längst so viel Quatsch gemacht, dass sie niemanden mehr schocken können. Seit Lil Wayne die Gitarre ausgepackt hat, ist man quasi auf alles gefasst, was seinem chemisch zersetzten Superhirn einfallen könnte. Und seit Kanye West zum Soulroboter mutiert ist, sind auch Internet-Enten über seine geplante Zweitkarriere als Pornodarsteller nicht mehr allzu unplausibel. Marissa Nadler allerdings ist nicht ganz so robust wie die zwei größten Popstars ihres Heimatlandes. Ihre Musik ist immer schon hochsensibel gewesen, kostbar und zerbrechlich wie Meißner Porzellan. Wenn der Song "Mary come alive" auf ihrem neuen Album "Little hells" also nun von einem stumpfen Drum-Machine-Beat eingeleitet wird, muss man sich zwangsläufig vorkommen wie auf einem Polterabend. Obwohl eigentlich gar nicht viel Geschirr zerschmissen wird.

Getragen, königlich, erhaben: Nadlers Musik ist das noch immer, auch und ganz besonders auf ihrem vierten Album. Alles steht weiterhin im Zeichen der geistreich gepickten E-Gitarre und des geisternden Gesangs, mit dem die 27-Jährige ihre Lieder jeder Bodenhaftung beraubt. Trotzdem ist der Wille, die Dinge aufzubrechen, sich selbst zu unterwandern und mit Erwartungen zu spielen - jetzt wo es Leute gibt, die welche haben könnten -, auf "Little hells" offensichtlich. An der klassischen Nadler-Metapher des Openers "Heart paper lover" nagen E-Piano und Effektgeriesel, die letztlich in ihrer eigenen Atmosphäre verglühen müssen. In "Loner" lehnt sich die Orgel mit solchem Selbstbewusstsein gegen den Song auf, dass man sie beinahe "verzockt" nennen muss. Und "Mary come alive" hat eben diesen Drumbeat, flach, billig und verbohrt wie zu No-Wave-Zeiten.

Wenn sich "Rosary" von seinem Valium-Walzertakt anschieben lässt und Nadlers Stimme mit dem Horizont verfließt, fühlt man sich hier schon eher zu Hause. Eigentlich aber legt ja schon der Titel von "Little hells" nahe, dass es diesmal nicht um zuvorkommende Lieder geht, niemandes Wohlbefinden von Interesse ist und ein Drumbeat auch mal wehtun muss - zumal dieses verflixte "Mary come alive" einem früher oder später eh über den Kopf hinauswächst. Unter diesen Voraussetzungen schreibt Nadler noch immer Songs, die drei Stockwerke tiefer reichen als die Absichten gewöhnlicher Songwriter, ihr außerweltliches Erscheinungsbild mit Geschichten aus der Grauzone zwischen Leben und Tod abgleichen und in "Mistress" auch noch das Tor zur nächsten Welt aufstoßen, der Nadler den Kopf verdrehen wird. "I'm leaving you for good this time," singt sie erst. Und dann noch: "Goodbye, Misery", damit das mal klar ist. War schön, Dich kennengelernt zu haben.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Heart paper lover
  • Mary come alive
  • Loner
  • Mistress

Tracklist

  1. Heart paper lover
  2. Rosary
  3. Mary come alive
  4. Little hells
  5. Ghosts and lovers
  6. Brittle, crushed & torn
  7. The hole is wide
  8. River of dirt
  9. Loner
  10. Mistress
Gesamtspielzeit: 37:30 min

Im Forum kommentieren

Jennifer

2016-05-21 13:55:50

...und ich die beiden Postings zum neuen Album verschoben.

Demon Cleaner

2016-05-21 13:44:24

Ich habe diesen Thread mal umbenannt nach dem alten Album und einen

Clown_im_OP

2014-02-07 19:59:11

July ist tatsächlich abseits des Beitrages auf diesem Radiohead-Coveralbum mein erster Kontakt mit Marissa Nadler. Finde ich gerade ziemlich toll.

DanieI

2014-01-28 21:02:48

Die Naddel!

Hanno (unangemeldet)

2014-01-28 20:16:19

http://www.npr.org/2014/01/26/264907890/first-listen-marissa-nadler-july

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