M. Ward - Hold time
4AD / Beggars / IndigoVÖ: 13.02.2009
Haltet die Welt an
Liebeserklärungen an sich gibt es ja so einige. Da gibt es eher unglückliche, gar dumme, die man für sich behalten sollte. Vom Himmel gefallen, Gottes verlorener Engel, Augen wie Sterne, alles Mist. Eine romantische Atmosphäre gehört ohnehin schon zum guten Ton, ein ins Ohr gebrülltes "Ich liebe dich" in der Dorfdisco verursacht statt Schmetterlingen im Bauch allerhöchstens Kopfschmerzen, und in der Schlange beim Metzger könnten theoretisch gesehen auch die Fleischwurstkringel in der Auslage gemeint sein. Nein, eine Liebeserklärung umfasst viele Kleinigkeiten, sie muss zum richtigen Zeitpunkt kommen, in der richtigen Form, am richtigen Ort, und wenn sie dann kreativ vorgetragen wird, klappt das schon mit der eingetragenen Partnerschaft - man will es ja nicht gleich übertreiben. M. Ward, der seit einiger Zeit eine zumindest nach außen hin platonische Lebensgemeinschaft mit Zooey Deschanel in Form von She & Him führt und mit "Hold time" sein nunmehr sechstes Soloalbum veröffentlicht, weiß, was er tut. Er hat seine Liebeserklärungen - an das Leben, an die Weiblichkeit, an die Freundschaft, an Gott und sogar, ja, an die Einsamkeit und Traurigkeit - in Songs verpackt, diese wiederum in eine passabel aussehende CD-Hülle gesteckt und veröffentlicht das Paket in einer Zeit, in der es noch kalt ist, aber nicht mehr lange bleibt. Und noch dazu am Tag vor dem Valentinstag.
"I wrote this song just to remember / The endless, endless summer in your laugh", allein diese Zeile im Titeltrack von "Hold time" müsste eigentlich für eine Gefühlsüberflutung bei allen Frauen dieses Planeten sorgen. Da ist Wards klare, reine Stimme, im Hintergrund sind Streicher - insgesamt das perfekte Szenario für jegliche Liebesszenen, die in Hollywood noch nicht gedreht wurden. Dies könnte ein guter Zeitpunkt sein, um darauf zu hoffen, dass die Welt einfach aufhören wird, sich zu drehen, um in einem einzigen Moment verharren zu können. In "Never had nobody like you" und "Rave on", einem Buddy-Holly-Cover, tritt Deschanel persönlich als Unterstützung auf, und gerade die zweite Kollaboration entpuppt sich als echter Ohrwurm. Beide Songs zeigen noch einmal, warum She & Him auch so gut geklappt hat: Wards Arrangements sind mit einer derartigen Liebe zum Detail ausgearbeitet, dass es dafür auch schon wieder ein eigenes Stück geben sollte.
Das in sich gekehrte "One hundred million years" hört sich im Vergleich zum restlichen, an Americana und Folk orientierten Album, zwar passiv an, als wäre es eher durch Zufall reingerutscht. Allein die Tatsache aber, dass es so ungewollt klingt, macht es wieder charmant. Und weil niemand durch und durch glückliche Menschen, denen die Sonne nicht nur aus dem Gesicht scheint, mag, umarmt M. Ward auch die dunkle Seite und bemitleidet sich selbst zutiefst im Don-Gibson-Klassiker "Oh lonesome me". Während dieser sich schwermütig von Sekunde zu Sekunde hangelt, ist es aber doch Lucinda Williams, die dieses Duett so großartig macht. Mit ihrer rauchigen, beinahe dreckigen Stimme bietet sie den perfekten Kontrast zu Ward selbst, und so entsteht ein gesanglicher Schlagabtausch der besonderen Art.
Christlich wird es, zwar nicht im ganz klassichen Sinn, in "Epistemology". Ward funktioniert die Erkenntnistheorie für seine Zwecke um und macht sie zum Puzzleteil seines Gesamtwerks: "And finally I found you / Without ever learning how to." In "Stars of Leo" ziehen sich die Gegensätze an, und im flotten Tempo verewigt Ward seinen Ursprung und seine Heimat und macht deutlich, dass sein altes, normales Leben dem jetzigen trotz - oder gerade wegen - seiner Einfachheit überlegen ist. "Hold time" kann man guten Gewissens als eine einzige Liebeserklärung an verschiedene Empfänger sehen, und dank des ein oder anderen intonierten Augenzwinkerns wird die Angelegenheit nie kitschig oder oberflächlich und erst recht nicht unaufrichtig. Man nimmt Ward ab, was er einem vorsetzt, weil alles mit hoher Wahrscheinlichkeit genau so gemeint ist. Auch das gehört zu einer anständigen Liebeserklärung dazu. Am Ende dann, im Zuge des Instrumentals "Outro", beginnt die Welt sich wieder zu drehen - und am liebsten möchte man sie gleich wieder anhalten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hold time
- Rave on
- Stars of Leo
- Epistemology
Tracklist
- For beginners (aka Mt. Zion)
- Never had nobody like you (feat. Zooey Deschanel)
- Jailbird
- Hold time
- Rave on (feat. Zooey Deschanel)
- To save me (feat. Jason Lytle)
- One hundred million years
- Stars of Leo
- Fisher of men
- Oh lonesome me (feat. Lucinda Williams)
- Epistemology
- Blake's view
- Shangri-la
- Outro (aka I'm a fool to want you)
Im Forum kommentieren
butterhörnchen
2009-03-08 10:21:19
Auch von mir erstmal ein fettes Dankeschön an die herzallerliebste Rezension :-)
Muss zugeben, dass dies das erste Album des werten Herren ist, das ich mir näher zu Gemüte geführt habe, und anfangs war es für meinen Geschmack fast etwas zu heiter, aber mittlerweile sind die ersten Berührungsängste überwunden und heavy rotation ist angesagt :-)
Schönes Teil!
Spice
2009-02-18 11:29:15
Epistemology erinnert mich stark an ein anderes Lied (dessen Name mir gerade entfallen ist). Handelt es sich hierbei um ein Cover oder ist die Ähnlichkeit unbeabsichtigt?
klostein
2009-02-15 12:14:26
Kann ganz schöne Rezensionen schreiben, diese Frau Depner. :-) Kompliment!
Ich geh mir jetzt die Platte kaufen...der Matt kann mich eigentlich gar nicht enttäuschen.
Leatherface
2009-02-14 20:00:18
Ganz tolles Album. Richtig lebensfroh, zuversichtlich und beschwingt ist er diesmal, der gute Matt.
Paul Paul
2009-02-14 13:23:24
Ich mag das Duett. Das hat bei etwa 4:00 Minuten einen Twin-Peaks-Vorspann-Gedächtnissmoment. Auch sonst ein tolles Album.
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