Miranda Lee Richards - Light of X

Nettwerk / Soulfood
VÖ: 06.02.2009
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der zweite Schritt zur Besserung

Es gibt Dinge, die kann sich nun wahrlich niemand ausdenken. Die Biographie einer Miranda Lee Richards beispielsweise. Sie kam als Tochter eines hippiesken Comic-Künstler-Paares zur Welt, war dann erstmal Modelkarrieristin, darauf Gitarrenschülerin von Metallicas Kirk Hammett, der ihr auch die ersten Demoaufnahmen spendierte. Anschließend bediente sie für das Brian Jonestown Massacre in der zweiten Hälfte der 1990er Gitarre, Drums und Gesang, um schließlich abseits der eigenen Solopfade auch noch die Wege von Tricky, Neil Halstead oder The Jesus And Mary Chain zu kreuzen. Was braucht es eigentlich noch? Nun, im Ausklang der Modelkarriere eine gehörige Portion Selbsterkenntnis - als erster Schritt zur Besserung. Und gute Musik, versteht sich. Aber wenn man, wie Richards, noch 31 Sekunden in seinem Terminplan frei hat, dann erledigt sich auch das beinahe wie von selbst. So bedient sie auf "Light of X" ein unbändiges Getümmel an Instrumentarium bereits zum zweiten Mal in Eigenregie, schrieb und arrangierte zudem noch den hinterletzten Fetzen ihrer Musik höchstselbst. Bei all dem behutsam tapsenden Folk-Pop, der das Album bevölkert, wäre man spätestens darauf nicht mehr von alleine gekommen.

Denn in der Tat wirkt "Light of X" ebenso prinzipiell verschlafen wie ausgefuchst und hellwach. Wo Songs wie "Hideaway" oder "Olive tree" mit ihrem fluffigen, halben Midtempo hinschunkeln wollen, wenn nicht erst in die Häschenpuschen, dann zum Zähneputzen und anschließend ins Heiteitei, bleibt erstmal die große Frage. Dennoch packen sie zu, ebenso wie "Early November" und "Hidden treasure", die nach ihren zerrupften Strophenparts in Refrains landen, deren Akkordwechsel die Songs öffnen, die Stimmung aber absacken lassen. "Life boat" und "Here by the window" befinden sich hingegen bereits mitten im Halbschlafuniversum, schieben ihre Akustikpickings, Cellostriche und schlurfenden Snarebesen wie einen humpelnden Herrn Sumsemann unter die Haut, während sich "Breathless" abschließend im Klavierhall noch mal selbst am Kragen packt, um zugleich zu schütteln und zu schaukeln. Wenn dabei zum Gitarrensolo immer wieder lieber die Slidegitarre angeschmissen, statt die Heather Nova gemacht wird, und alles doch noch einmal Fahrt aufnimmt, nur um Sekunden später stiefmütterlich ausgefadet zu werden - dann ist das schon ziemlich spannend, irgendwo ganz tief drinnen, während Radio-Folk mit gestrafften Songaufbauten die Schnittchen gereicht bekommt.

Richards singt dazu mindestens ebenso einschmeichelnd, warm und zu keiner Zeit ausbruchsgefährdet. Klar kann sie bei allem mit, klar gibt sie die Galionsfigur und klebt mit weit geöffneten Armen am Bug - über spiegelglatter See. Der Vorteil von "Light of X" ist allerdings, dass den Arrangements mindestens ebensoviel Raum gelassen wird wie Richards' Stimme. So kommt Bewegung ins Innenleben der Songs - sie selbst zieht es hingegen nirgendwo hin. Beim Bettgang noch fünfmal um sich selbst rotierend, produzieren sie einen ganz besonderen Schwindel. Danach schlummern sie lächelnd ein, sich selbst vorgaukelnd, gerade von einer ausufernden Party angeschickert zu sein. Warum auch nicht, schließlich ist Selbstbetrug der zweite Schritt zur Besserung - und gesünder ist das allemal.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Life boat
  • Early November
  • Here by the window

Tracklist

  1. Breathless
  2. Life boat
  3. Savorin' your smile
  4. Hideaway
  5. Early November
  6. Pictures of you
  7. Here by the window
  8. Hidden treasure
  9. Mirror at the end
  10. Olive tree
  11. That baby
  12. Last days of summer
Gesamtspielzeit: 58:41 min

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