Ghost Of Tom Joad - Matterhorn
Richard Mohlmann / IndigoVÖ: 06.02.2009
Zur Sonne, zur Freiheit
Trotz ihrer enormen physischen Präsenz wird Bergen seitens der Menschheit im Allgemeinen nur geringe Anerkennung zuteil. Da darf es dann schon als das Höchste der Gefühle gelten, wenn sich zur Wintersaison die Skipisten füllen oder man früher mal von Reinhold Messner bestiegen wurde. Das Matterhorn dagegen hat es zu Weltruhm gebracht. Als Model für die bekannte schweizer Schokolade Toblerone, und neuerdings auch als Namensgeber für das zweite Album von Ghost Of Tom Joad. Ob die in letzter Zeit größere Lieferungen kakaohaltiger Süßwaren aus der Schweiz erhalten haben, ist nicht überliefert. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die Band das Matterhorn seiner exemplarischen Symbolkraft wegen ausgewählt hat: Schon die bloße Ansicht des schneebedeckten Gipfels stellt ein Versprechen dar. Von Abenteuer, dem Reiz der Gefahr, der Grenze des Erreichbaren - und in seiner ursprünglichen Natürlichkeit vor allem von uneingeschränkter, rückhaltloser Freiheit.
Es passt für Ghost Of Tom Joad, dieses Motiv vom Bergsteigen. Selbst ganz die Ruhelosen, Getriebenen, haben die drei Münsteraner in nur einem Jahr seit Erscheinen ihres respektablen Debüts "No sleep until Ostkreuz" Erfolgsgipfel für Erfolgsgipfel erklommen. Von einer Nachwuchsband redet da kaum mehr einer, von einem der besten Liveacts der Republik sprechen dafür umso mehr Leute. Beinahe erschreckend, wie viel ausgefeilter und organischer sich "Matterhorn" im Vergleich zu seinem Vorgänger zeigt. Die reinen Insel-Adaptionen sind passé, aus einem Grundstock von New Wave und Post-Punk zieht die Band einen unruhigen, entrückten Sound, maßgeblich geprägt durch den Mut zum elektronischen Experiment. Eskapismus ist als Leitmotiv allen Songs gemein, und tatsächlich wirken viele Stücke wie dem alltäglichen Leben enthoben. Das weckt in seiner Erhabenheit Sehnsüchte, verwischt aber auch die Grenzen der einzelnen Songidentitäten, weil der Antrieb überall derselbe bleibt.
Durch alle Songs hindurch werden die existenziellen Erfahrungen der Weltflucht verhandelt. Schon im Opener "Through every organ" findet der zurückgehaltene Aufbruch in körperlichem Schmerz Ausdruck: "The body is always aching / Every organ and every bone." "Into the wild" entwickelt über seinen hypnotisch flirrenden Bass gar einen so starken Sog in das urwüchsige Leben, dass es Sänger Henrik Roger mitten im Song die englische Sprache verschlägt. Wie befreit schreit er auf einmal deutsche Zeilen heraus, als hätte sich die Natur in ihm Bahn gebrochen, anstatt in dem Abenteuerer Christopher McCandless, auf dessen kolportiertem Schicksal das Stück fußt. Immer wieder beschwören Songs wie "The waves call your name" den Abenteuergeist als innere Notwendigkeit: "It's all in your bones / You go through it all alone / All that unreveals / Why your heart is a traveller". Obwohl die Romantisierung der Wildnis überwiegt, bieten Stücke wie "The body of Lord Francis Douglas" über den gleichnamigen verschollenen Matterhorn-Bergsteiger aber doch auch die Kehrseite der Freiheit an.
Wenn sich "Matterhorn" ganz am Ende anschickt, den Hörer am "Kap Farvel" zur tröstlichen Klavierbegleitung in den Sonnenuntergang segeln zu lassen, bleibt das Gefühl, ganz weit weg gewesen zu sein. Das simple Happy End als Ausweg aus einem bedrückend schönen Konzeptalbum wäre aber auch zu einfach gewesen, für Antworten fühlen sich Ghost Of Tom Joad nicht zuständig. Die feinfühlige Direktheit, mit der sie Stimmungen und Emotionen greifbar erzählen, ist ja auch mehr als genug. Zu selten hört man Musik, die aus einer inneren Notwendigkeit heraus entsteht. Ghost Of Tom Joad sind auf "Matterhorn" jedoch ganz und gar und ausschließlich bei sich. Der Selbstzweck heiligt die Mittel.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Into the wild
- The waves call your name
- The end of everything
Tracklist
- Through every organ
- The body of Lord Francis Douglas
- Into the wild
- A place where you belong
- The waves call your name
- The bomb
- This bed is a fortress
- Back to school
- Hibernation is over
- The end of everything
- Kap Farvel
Im Forum kommentieren
ds
2010-01-10 17:03:05
dieses jahr kommt schon wieder ein neues album. verrückt.
mein senf
2009-05-13 14:18:16
Hab sie in münchen live gesehen. Die vorband war grütze :)
Ghost of tom joad hingegen bringens echt. Sofort hingehen!
Addict
2009-03-10 13:06:42
phil
2009-02-27 11:19:48
2x! sensationell! morgen dann nochmal als vorgruppe von muff potter :-)
Bremer
2009-02-27 08:51:33
Wie sind die denn wohl live, schon jemand gesehen ?
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