The Dears - Missiles
Dangerbird / Rough TradeVÖ: 13.02.2009
Wie es leibt und schwebt
Man darf Murray Lightburn eine Menge erzählen, man sollte sich nur nicht trauen, ihn oder seine Band melodramatisch zu nennen. Das hat er nicht gern, da wird er ungehalten. Weil, "melodramatisch" - das ist ein sehr einfaches Wort, um die Hingabe und Ernsthaftigkeit von The Dears abzukanzeln. Er singe nun mal über die großen Themen des Lebens, sagt Lightburn immer wieder, und wenn er das Ganze dann entsprechend vertont, haben vielleicht eher die Leute ein Problem, denen so viel ungebremste Wahrhaftigkeit zu melodramatisch ist. "Zahllose Menschen fahren vor bis zum Rand der Klippe, The Dears fahren noch ein paar Meter weiter", auch das ist so ein Lightburn-Sinnspruch. Kein Wunder also, dass sich seine Band auf "Missiles" im freien Fall wiederfindet - und schon mal probehalber die Arme ausbreitet.
Die Sessions sollen schwierig gewesen sein, fast die ganze Band ist ausgestiegen. So blieb es an Lightburn und seiner Frau Natalia Yanchak hängen, das vierte Dears-Album in Form zu bringen und dabei ein Wir-Bewusstsein zu offenbaren, das man beinahe zwangsläufig als trotzige Antwort an alle verstehen muss, denen The Dears jemals zu dick aufgetragen haben. Vor dem Opener "Disclaimer", der sich geduldig in einen ergriffen wogenden Doves-Song, circa 2002, hineinfühlt, steht quasi als Zusatz-Disclaimer ein ausgedehntes Saxophon-Solo. Wenn das zunächst sehr hastige "Lights off" längst runtergekühlt durch seine Coda schwappt, packt Lightburn noch ein unverzeihliches ranissimo-Gitarrensolo drauf. Und bis "Saviour" in der zwölften Minute ankommt, sind die Orgeltasten längst ausgeleiert, ganze Kirchenchorscharen von Kindersängern aufgebraucht und auch die letzten Verpflichtungen zur Schwerkraft überwunden. The Dears - wie sie leiben und schweben.
Lightburn glänzt in der Rolle des missverstandenen Popsong-Großunternehmers. Er überspielt Erwartungen, kostet die längst erwirtschaftete Narrenfreiheit aus und bestätigt alle Vorurteile, die zu seiner Band existieren - nur um sie mit einem Lied wie "Money babies" genüsslich zu unterlaufen. Das Stück ist für Dears-Verhältnisse schockierend punktiert und auch unter normalsterblichen Maßstäben nahezu bündig: Die Gitarre kratzt sich energisch unter die Songoberfläche, das Schlagzeug scheppert in unbedingter Beständigkeit, und vor dem brutal verfrühten Fadeout fällt mit "Our money is elastic" auch noch der passende Slogan zur Weltwirtschaftskrise 2.0. Wenn sich The Dears so vehement gegen sich selbst wehren und den Gitarrensturm des Titelstücks mit einem faustbreiten Durchhalte-Klavier kontern, ist "Missiles" am besten. Aber selbst wenn Lightburn zum Sprung über den eigenen Schatten ansetzt, ist es weiterhin Zeitverschwendung, auf seine baldige Landung zu warten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Disclaimer
- Money babies
- Missiles
- Saviour
Tracklist
- Disclaimer
- Dream job
- Money babies
- Berlin heart
- Lights off
- Crisis 1 & 2
- Demons
- Missiles
- Meltdown in A major
- Saviour
Referenzen
Spotify
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