Glasvegas - Glasvegas

Columbia / Sony BMG
VÖ: 30.01.2009
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Engel auf Erden

Er hat es mal wieder als erster gewusst. 2006 sah Alan McGee, einstiger Creation-Labelchef und Oasis-Großmacher, die vier Schotten Glasvegas aufspielen und witterte sofort das nächste große Ding. Worauf die Sache langsam, aber sicher ins Rollen geriet und ein Jahr darauf eine Single ausspuckte, die es auf Platz zwei der UK-Charts schaffte. Und spätestens als Glasvegas lange vor Erscheinen ihres Debüts schon Titel wie "Platte des Monats" abräumten und in den Newcomerlisten der Magazine und Blogs ganz oben rangierten, war klar: Bei denen wird man um den Begriff "Hype" wohl nicht herumkommen.

Obwohl der schnelle Hit ihre Sache nicht ist. Auch nicht auf "Glasvegas". Erst nach 80 Sekunden kicken die Drums los und nuscheliger Akzentgesang, sehnende Backgroundchöre und Gitarren wie mächtige Teppiche fahren gemeinsam gen Himmel. Eine große, gekippte Hymne entfaltet sich, bricht krachend in sich zusammen und lässt zum Schluss weißes Feedbackrauschen tanzen. Besser kann man ein Album kaum eröffnen: "Flowers & football tops" ist gar nicht schlicht und äußerst ergreifend - ein zum Heulen schöner Song. "Geraldine" folgt danach den gleichen Gesetzen, ist aber kürzer geraten, mehr Richtung Pop gebürstet und spricht tröstende Worte: "I'll be the angel on your shoulder / My name is Geraldine, I'm your social worker". Die wunderbarste Profanisierung des Edlen, seit es Champagner auch bei Aldi zu kaufen gibt.

Natürlich erinnert dieses Album mit seinen riesigen Soundwänden und dem Monsterhall auf dem Schlagzeug deutlich an das, was in den achtziger Jahren Shoegaze hieß und später in abgemilderter Form in der vernebelten Rock-Psychedelia von Ride, The House Of Love oder Adorable zwischengelagert wurde. Und genau wie damals verliert man sich hier prompt in der Melancholie der dunkelgrauen Lieder, deren Protagonisten jeden Moment in schwerste Tränen auszubrechen drohen. Die Mutter, bei der die Polizei vor der Tür steht, weil es in der dritten Halbzeit des Stadtderbys Celtic gegen Rangers nicht nur Verletzte gab. Der Typ, der seine Finger von keiner Frau außer der eigenen lassen kann und sich dafür hasst. Der Sohn, dessen Vater schon längst über alle wolkenverhangenen Berge ist. Ein grober Klotz, wer hier Tempo, Rock'n'Roll und Indiepalooza erwartet. Zumindest musikalisch und inhaltlich geht Hype normalerweise anders.

Angestaute Aggression bricht sich allenfalls im hämmernden Stakkato von "Go square go" ihre Bahn, wo James Allan über die Arschgeigen singt, die einen in der Schule so lange gepiesackt haben, bis man sich doch mit ihnen prügeln musste - und dann meist auf verlorenem Posten stand. Angesichts all dieser großen und kleinen Dramen erweist sich die Wortschöpfung im Bandnamen vor allem als Wechselspiel von Bleibenmüssen und Wegwollen, trostlosem Alltag und unerreichbarer Glitzerwelt. Doch Glasvegas stehen zu ihrer Basis, auch wenn diese ihre Leute zuweilen nicht gerade gut behandelt. Und haben nebenbei ihre zweifelnde Heimatverbundenheit in eine prächtige, trostreiche Platte verpackt. Schließlich hat jeder seinen Schutzengel. Und wenn es nur der vom Sozialamt ist.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Flowers & football tops
  • Geraldine
  • Go square go

Tracklist

  1. Flowers & football tops
  2. Geraldine
  3. It's my own cheating heart that makes me cry
  4. Lonesome swan
  5. Go square go
  6. Polmont on my mind
  7. Daddy's gone
  8. Stabbed
  9. S.A.D. light
  10. Ice cream van
Gesamtspielzeit: 41:51 min

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