Udo Lindenberg - Stark wie zwei

Starwatch / Universal
VÖ: 28.03.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Alter Hut

Das Jahr 2008 wunderte sich über unvermutete Comebacks ein ein paar älteren Herren: Einer ruinierte den schönsten Running Gag, seit es Album-Veröffentlichungstermine gibt. Ein zweiter überlebte einen unkatholischen Seitensprung nur wegen der grandiosen Unfähigkeit zweier anderer bayrischer Politikdarsteller. Und dann war da noch der Dritte mit dem Hut: Er existierte bis zur Veröffentlichung von "Stark wie zwei" zuletzt vorwiegend als Hotelbewohner, Likör-Maler und berufsmäßiger Udo-Lindenberg-Darsteller. Auch gelegentliche Gastauftritte konnten wenig daran ändern, dass Lindenberg aus dem Pop-Bewusstsein fast gänzlich verschwunden war. Zunehmende Schlagerhaftigkeit überdeckte die Pioniertaten des Nasal-Schnodderers für die deutschsprachige Rockmusik, und über die Jahre geriet immer mehr in Vergessenheit, wer der legitime Urahn aller deutschen Befindlichkeitsrocker ist.

Ende März 2008 kam die Erinnerung: Als "Stark wie zwei" auf Platz Eins in die deutschen Charts einstieg, outete sich plötzlich jeder als Immer-schon-Udo-Fan. Das Album machte einige Kurven um Lindenbergs Fremdschäm-Vorlagen der letzten zwanzig Jahre, hielt sich stattdessen wieder stark an der Gitarre fest und orientierte sich dabei an ein paar alten Helden aus Übersee. Für den hartnäckigen Ohrwurm "Ganz anders" hat Lindenberg beim gemeinsamen Kiffen mit Jan Delay anscheinend reichlich Jimi Hendrix gehört. Das Mundharmonika-Nölen von "Was hat die Zeit mit uns gemacht" geht als neuer Kumpel von Neil Youngs "Heart of gold" durch, und Mit-Produzent Andreas Herbig (Juli, Wolfsheim, Ich + Ich) hat sich wohl auch ein paar Produktionskniffe von Nigel Godrich abgehört.

Auch dem nicht vorbelasteten Hörer wird einiges vertraut vorkommen: die kumpeligen Texte mit Hang zur Vokaldehnung kennt man von Tomtes Thees Uhlmann und den nüchternen Alltag von Sven Regener. Annette Humpe brachte die anmaßende Seelenverwandtschaft von Ich + Ich mit, und das Näseln von Jan Delay brauchte nicht einmal mehr eine erklärende Fußnote, weil er seine Polypen bei seinem Gastauftritt sogar noch mehr in Szene setzte. Lindenberg war das spürbar egal, weil er endlich wieder rocken konnte. Nicht wild und ungestüm, sondern mit routinierter Entspannung.

Beim nachdenklichen Opener "Ich zieh meinen Hut" muss man sich noch an eher muffige Vokabeln gewöhnen. Zeilen wie "War oft schon übern Jordan / Doch Du holst mich cool zurück / Keiner hat mich je so doll geliebt" holen sich böse Schrammen, aber die Musik entwickelt unverstellten Charme. Man muss das zwar nicht mögen, aber es benötigt erstaunlich wenig Überwindung. Zwischen Nachdenklichkeit und Selbstironie gelingen auch der Polizeihund-Klamauk "Chubby Checker" mit Helge Schneider sowie die Säufer-Dramen "Woddy Woddy Wodka" und "Nasses Gold". Und plötzlich bekommen selbst potentielle Flachheiten wie der Glamrocker "Der Greis ist heiß" oder das pfiffige "Mein Ding" dank knackigen Riffs die Kurve.

Früher setzte Lindenberg die eigenen Parodievorlagen zwischen Hut und hängender Unterlippe vorauseilend selbst um. Dass er die zahlreichen Vize-Egos dieses Mal im Schrank und Intimität zulässt, verdient Respekt, der nur dann wieder ins Wanken kommt, wenn er in "Der Deal" dem plumpen Rockismus von Silbermond auf dem Leim geht. Auch der Nuschel-Kitsch der ersten Single "Wenn Du durchhängst", die bis auf Platz zehn der deutschen Top 100 kletterte und damit Lindenbergs zweitgrößten Hit nach "Sonderzug nach Pankow" markierte, ist eine lässliche Sünde. Deutschland mag vielleicht keinen Style haben. Aber es hat einen Udo.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ganz anders (feat. Jan Delay)
  • Was hat die Zeit mit uns gemacht
  • Chubby Checker (feat. Helge Schneider)

Tracklist

  1. Ich zieh meinen Hut
  2. Wenn du durchhängst
  3. Ganz anders (feat. Jan Delay)
  4. Was hat die Zeit mit uns gemacht
  5. Mein Ding
  6. Stark wie Zwei
  7. Der Deal (feat. Silbermond)
  8. Chubby Checker (feat. Helge Schneider)
  9. Der Greis ist heiss
  10. Woddy Woddy Wodka
  11. Nasses Gold
  12. Interview mit Gott
  13. Verbotene Stadt
  14. Der Astronaut muss weiter
Gesamtspielzeit: 61:59 min

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