Jeremy Warmsley - How we became

Transgressive / Rough Trade
VÖ: 28.11.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Integration statt Isolation

Ein gedämpftes Piano synchronisiert die trostlosen Monologe eines Glücksspielautomaten, dem der Jackpot schon lange schwer im Magen liegt. Es ist eine dieser Käseglockennächte, in denen Blicke regenverschleiert und in Dauerdiskussionen mit Füßen vertieft sind. Der solide Herzschlag der Monotonie übertönt alles. Bis draußen, mit einem routinierten Backsteinwurf, das geparkte Leben aufgebrochen wird. Es flüchtet in die überschaubaren Klangkulissen eines Achtziger-Jahre-Computerspiels, baut eine absolut vertrauenswürdige Bambus-Hängebrücke zwischen Level 1 und Level 2, überquert sicher die gülden dahinfließende Gesangsmelodie und läuft schließlich dem Kettenkarussell-Refrain von "Lose my cool", der gerade eine unangeleinte E-Gitarre Gassi führt, direkt in die Arme. All das passiert in den ersten 90 Sekunden von Jeremy Warmsleys Zweitwerk "How we became".

Um zu begreifen, wie Warmsley wurde, was er ist, sind kaum mehr als weitere anderthalb Minuten nötig. Denn sehr schnell wird klar: Innovation versteht der Brite stets als Teil eines Integrationsprozesses - und trotzdem dürfen sich seine Songs an allen Ecken und Enden frei entfalten und hemmungslos der Anarchie hingeben. Nichts klingt hier nach sanften oder gar faulen Kompromissen, nichts nach Gemeinschaftsküche oder Reißverschlussprinzip. Warmsley könnte auch ein futuristisch verchromtes Raumschiff in eine pittoreske Weihnachtsmarktidylle integrieren, und man käme niemals auf die Idee, dass es dort nicht hingehören würde.

Auf dem Nachfolger seines großartigen Debüts "The art of fiction" (man denke nur mal an das höchst verführerische "I knew that her face was a lie") glänzt Warmsley erneut in der Rolle des geschmackvollen Mediators. Er vermittelt souverän zwischen echten Instrumenten, elektronischen Experimenten und seiner eigenen Stimme, die morgens bestimmt nüchtern und unrasiert das Haus verlässt, aber abends auf wundersame Weise wie aus dem Ei gepellt zurückkehrt. Wie sonst ließe sich erklären, dass der NME ihn erst kürzlich mit einem gewissen Rufus Wainwright verglich? Wobei Warmsley weitaus unprätentiöser phrasiert und die Töne dann doch eher aus dem Jogginganzugsärmel schüttelt, anstatt sie mit großer Geste aus einem Zylinder zu zaubern und ihnen womöglich noch eine Glitzerbrosche ans Revers zu heften.

Denn auch ohne pompöse Accessoires prägen sich fast alle vierzehn Songs nachhaltig ein und sind bereits beim zweiten Hören gute alte Bekannte, denen man mindestens eine Hand auf die Schulter legen möchte. Da wären das dezent beschwipste Sixties-Pop-Schnittchen "Sins (I try)", der Titeltrack mit seiner unwiderstehlichen Kombination aus hyperventilierendem Falsettgesang und hypertighten Beats, die plötzlichen Jazzkapriolen des zunächst so unverdächtig marschierenden "15 broken swords" und das südseeparadiesische "Dancing with the enemy", das sich den Luxus eines eloquenten Saxophons leistet. "Turn your back" hingegen gönnt sich einen flotten Beatles-Haarschnitt und das überraschend ausufernde "Craneflies" bestätigt, was man ohnehin schon wusste: Am Piano ist Warmsley ein besonderes Vergnügen. Zum Finale covert er mehr als würdig "Temptation" von New Order, die ein, zwei mediokren Stücke sind schnell vergessen, und die letzte Zeile integriert sich ganz hervorragend in den Gesamtkontext: "I've never met anyone quite like you before."

(Ina Simone Mautz)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Lose my cool
  • How we became
  • Craneflies
  • Temptation

Tracklist

  1. Lose my cool
  2. Sins (I try)
  3. How we became
  4. 15 broken swords
  5. Dancing with the enemy
  6. I keep the city burning
  7. Turn your back
  8. Waiting room
  9. Take care
  10. If he breaks your heart
  11. Pressure
  12. Craneflies
  13. The boat song
  14. Temptation
Gesamtspielzeit: 52:07 min

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