Kanye West - 808s & heartbreak

Roc-A-Fella / Def Jam / Universal
VÖ: 21.11.2008
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Autopilot

Lemmy hat mal gesagt, dass jeder Mensch singen könne, aber da wusste er wahrscheinlich noch nicht, wer Kanye West ist. Weil der aber nicht nur einen besonders stabilen, sondern auch einen sehr dicken Schädel hat, stand natürlich niemals zur Debatte, dass er sich ein R'n'B-Album ganz ohne Raps ausreden ließe, wenn ihm plötzlich der Sinn danach stehen sollte. Einmal die Kreditkarte zu zücken und die Altvorderen des Genres über seine Beats singen zu lassen, wäre für den ehemaligen Auftragsarbeiter West allerdings ein inakzeptabler Back-to-the-Roots-Move gewesen - seine Karriere kennt nur eine Richtung, und es ist trotz des letztjährigen Stadion-Rap-Debakels von "Graduation" weiterhin erfreulich, dass für sein musikalisches Selbstverständnis noch immer das Gleiche gilt.

"808s & heartbreak" wurde zur Hälfte nach dem Roland-TR-808-Drumcomputer benannt, mit dem West diesmal alle Beats programmiert hat - eigentlich ein längst überrundetes Gerät aus den Achtzigern, das aber genau den HipHop-fremden, leicht angekratzten Tribalbeat-Sound kreieren kann, der ihm für sein viertes Album vorschwebte. Schon im sechseinhalbminütigen, bedrückend ereignisarmen Opener "Say you will" wird die Maschine zu einem kirchenfertigen Chorsample ausführlich durchkonfiguriert. Viel prägnanter ist aber noch das zweite Große-Jungs-Spielzeug, in das sich West diesmal verguckt hat: eine vielbeschäftigte Autotune-Software, die seinen gebrechlichen Gesang immer wieder in die Bahn zurückholt und mit allerlei Hall- und Vocoder-Effekten überzieht. Wie bei Cher und "Believe" damals, ganz genau.

Unmittelbare Reaktionen auf "808s & heartbreak" haben sich mittlerweile zwischen verwirrter Befremdung und blankem Entsetzen eingependelt: West geht hier quasi ohne Not und Eitelkeit mit einem Siebener-Pärchen all in und scheut sich auch nicht, seine Startschwierigkeiten im Umgang mit der neuen Ausrüstung offenzulegen. Selbst 50 Cent traut sich da mittlerweile wieder aus seinem Loch, um über West zu lästern - und angesichts der billigen Autoscooter-Musik von "Paranoid" oder der Sin-With-Sebastian-Streicher im völlig zerschossenen Refrain von "RoboCop" muss man sich wohl mit dem unangenehmen Gedanken anfreunden, ausnahmsweise seiner Meinung zu sein. West verhebt sich hier, spielt gegen seine Stärken und jeden gesunden Menschenverstand. Wer ihn deshalb abschreiben will, unterschätzt allerdings seine Nehmerqualitäten.

Der "heartbreak"-Teil des Albumtitels geht auf den Tod von Wests Mutter und seine aufgelöste Verlobung mit der Modedesignerin Alexis Phifer zurück. Zumindest hinter den Kulissen war es also kein gutes Jahr für West, was sich in seiner bisher düstersten und persönlichsten Platte niedergeschlagen hat. Die Texte dazu sind selten originell, werden aber nicht nur in "Bad news" mit Nina-Simone-Sample, dem rührend besänftigten "Streetlights" oder der heftig von Lil Wayne befeuerten Wutprobe "See you in my nightmares" mit einer ratlosen Ehrlichkeit und Verletzlichkeit umgesetzt, die durchaus berührend sind. Aus "808s & heartbreak" wird deshalb noch lange kein gutes Album. Im Gegensatz zu "Graduation" ist es aber wenigstens eins, das West machen musste.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Streetlights
  • Bad news
  • See you in my nightmares

Tracklist

  1. Say you will
  2. Welcome to heartbreak (feat. Kid Cudi)
  3. Heartless
  4. Amazing (feat. Young Jeezy)
  5. Love lockdown
  6. Paranoid (feat. Mr. Hudson)
  7. RoboCop
  8. Streetlights
  9. Bad news
  10. See you in my nightmares (feat. Lil Wayne)
  11. Coldest Winter
  12. Pinocchio story (Freestyle live from Singapore)
Gesamtspielzeit: 51:57 min

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