Britney Spears - Circus
Jive / Sony BMGVÖ: 28.11.2008
Rache ist süß
Britney Spears, der Boulevard und die Fabeln, die sie verzapften - eine endlose Litanei zwischen Du und Du und Duddudu. Sie war die Schmollmundgöre im Schulmädchenoutfit, die mit treudoofem Wimpernknippern ihre Jungfräulichkeit behauptete. Die keusche Ordensschwester, die vor dem Spontansex zumindest mal eine Blitzhochzeit brauchte - und sie postwendend annullieren ließ, als Mama Lynne endlich an den Laken geschnüffelt hatte. Sie war Rehäuglein gewordener Mutterkomplex, die Jugendliebe von dem Hansel mit dem Hut, Schlampe ohne Höschen, dudeldickes Häufchen Elend auf dem Trottoire. Vater- (wo steckt der eigentlich die ganze Zeit?) und ehrlos, Rabenmutter, Monstertochter, Partyluder, Bühnenwackler. Sie war der x-te Nervenzusammenbruch, die Entziehungsklinik, der Beinahe-Knastaufenthalt, das Entmündigungsverfahren. Ohne Führerschein, ohne Ehemann, ohne Kinder, der zerheulte Kajal im Rinnsteinwasser. Tja, liebe Leute, sie war - eine von uns. Nicht en détail oder in der Konsequenz, aber: in all ihrer chaotischen Ambivalenz.
Die Musikerin Spears brauchte bekanntlich Jahre, um von und über sich selbst wenigstens das Offensichtliche zu lernen. So wirklich helfen wollte ihr dabei niemand. Einmal nichts überwunden, aber vieles akzeptiert, darf allerdings kein Zweifel bestehen, dass bei neuer Stärke eine Rückkehr so machtvoll werden konnte, wie es "Blackout" andeutete und "Circus" nun verspricht. In einer Zeit, in der Spears' öffentliche Wahrnehmung von Schadenfreude in Mitleid umzuschwingen beginnt, kommt das Album in all seiner Kraft gerade recht, um diese neuerliche, grässliche Unterwerfung ordentlich abzuwatschen. Denn "Circus" bietet kaum Angriffsfläche, weder für Barmherzigkeit noch für Spott. Songs wie "Kill the lights" und "Radar" strotzen vor Selbstbewusstsein, ohnehin die einzige Währung, mit der sich Pop in Authentizität tauschen lässt. Spears hat lange herhalten müssen, um sich dieses Realitätsprinzip zu erarbeiten, das jetzt auf einmal all die Spötter zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Verlogene Schakale, denen mit "Circus" ein ganzes Bündel an Gesten und Texten vor den Latz geknallt wird, die von Spears "echtem" Leben kündigen. Und vom Rudel deshalb wie ein Sieg gefeiert werden.
In Wahrheit sieht es so aus: "Circus" hat wirklich starke, stolze Songs, kennt aber auch die alten Schwächen. Neben den zu handfesten Schlotterbeats aufgeschüttelten "Mannequin" und "Mmm Papi", dem tickernden Hot-Chocolate-Funk von "Lace and leather" sowie dem gespielten Holzauge "If u seek Amy" überraschen jedoch ausgerechnet die Balladen. "Out from under", "Blur" und "Unusual you" zeigen sich zu jeder Sekunde auf Augenhöhe mit dem eher knalligen Rest. Durch immense Soundtüfteleien, bis nach Hintertupfingen durcharrangierte Minimalbetonungen und Be- wie Entschleuniger der Songteile entweicht Lagerfeuer-Britney mit ihnen in die Chill-Out-Zone. Blümchenbettwäsche wird Club-Flokati - gar nicht mal schlecht. Dazu schwingt sich Spears wie gewohnt durch sämtliche Stimmeffekte und -sublimierer der Musikgeschichte - von Muschel-Resonator bis High-Tech-Komprimierer. Was heißt: Ein Tonleiter-Pogostab wird sie bestimmt nicht mehr. James Hetfield, Robert Smith und Bela B. allerdings auch nicht. So what? Zudem ist das Produzenten-Bundle aus Benny Blanco, Dr. Luke oder The Underdogs klug genug, ihr nichts aufzuladen, was sie nicht schultern könnte. Madonna tat bis vor kurzem nichts anderes - und erntete Applaus.
Doch wie gesagt: All die Opferrituale sind ebenso beschämend wie obsolet. Die Popwelt ist kein Nationalpark. Und Plattentests.de nicht der Weiße Ring. "Womanizer" zuckt trotz der gelackten Haut im Video als ein verzagtes halbes Herz vor sich hin, zu blassen Achtziger-Drum-Pads und einem Refrain mit der Wiederholungsrate eines Seitenbacher-Werbeblocks. "Circus" und "Shattered glass" präsentieren ihre Beats auch eher ausgedörrt. Und mit "My baby" kommt Lagerfeuer-Britney doch noch zum Schmusi-Busi vorbei. Dennoch besitzt "Circus" die Kraft, aufzustehen und klare Worte zu sprechen. Der Aufprall war hart und Spears' Leben doch so kuschelig-künstlich schön. Ein Ying und Yang aus (un)fairen Chancen und schmutzigem Payback. Ein Naturereignis, ein Tsunami zwischen Halluzination und Realität. Aus ihrer verkorksten, verwilderten, plastisch-elastischen Welt schabt Spears die Wahrheit aus uns allen. Sie ist Drama-Queen und Pop-Princess. Nicht anders herum. Vielleicht ist sie irgendwann aber auch diejenige, die zuletzt lacht. Es wäre ihr und all den Boulevardesken da draußen sehr zu wünschen. Nicht aus Mitleid, eher schon wegen der guten alten Rache.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Kill the lights
- Unusual you
- Blur
- Mannequin
Tracklist
- Womanizer
- Circus
- Out from under
- Kill the lights
- Shattered glass
- If u seek Amy
- Unusual you
- Blur
- Mmm Papi
- Mannequin
- Lace and leather
- My baby
- Radar
Im Forum kommentieren
Bonzo
2014-08-18 23:43:26
http://youtu.be/bVmbHae2Ufk
Sludge Metal Circus
manassas
2009-08-10 12:58:28
Hab' den Song zufällig bei Viva - oder MTV? -gesehen. Schräääääääcklichster Computerpop. Ohne Groove, künstlich, bäh.
manassas
2009-08-10 12:57:03
Danke, Dan!
Dan
2009-08-09 10:34:20
Wieso wurde "Radar" ausgekoppelt? Der Track war doch auch auf dem letzten Album enthalten, oder?
Außerdem gibt es auf "Circus" viel bessere Songs, die sie als Single veröffentlichen hätte sollen (Blur, Unusual You z.B.)
Schmonsens!
Schnicks
2009-07-28 13:06:39
Alle Spears sind Asi. Ungeschminkt sehn die alle aus wie Muttern auf Schalke mit dem Veltins inne Hand.
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