Washington - Rouge/noir
Glitterhouse / IndigoVÖ: 31.10.2008
Drei-Sterne-Fach
Rote Gesichter unter schwarzen Kapuzen, dampfende Teetassen in eiskalten Händchen, Variationen aus Lammfell gegen Gänsehaut. Mittendrin und Gott sei Dank immer noch nicht unverfroren: Rune Simonsen, Andreas Høyer und Esko Pedersen, die sich vermutlich nur deswegen Washington nennen, weil dort das Weiße Haus steht - und dieses in ihrem ganz eigenen, sympathisch weltfremden Kosmos wahrscheinlich nichts anderes ist, als ein großer Iglu. In einem wesentlich kleineren Domizil, irgendwo in der bitterkalten Einöde Norwegens, hat das Trio aus Tromsø gemeinsam mit Lars Lien - der bereits das Debüt "A new order rising" produziert hatte - sein drittes Album aufgenommen. Man kann sich prima vorstellen, wie Lien nach einer kurzen Aufwärmphase einen petrolfarbenen Samtvorhang zur Seite zog, das eisblumenverzierte Fenster öffnete und feierlich rief: "Das kalte Büffet ist eröffnet!"
Es ist jedoch nicht so, dass Washington es grundsätzlich besonders eilig hätten, sich zu bedienen; und es würde ihnen auch niemals einfallen, sich zielsicher auf die Lachshäppchen zu stürzen. Die neuen Songs leben mehr denn je vom langsamen Heranschleichen, vom sich Winden, vom Kreise- und Schneisenziehen, vom Antäuschen und dann irgendwann doch beherzt Zugreifen. "Rouge/noir" beginnt mit einer erstaunlich ungestümen Gitarre - ganz so, als wolle sich das Album zunächst via Verstärkerwärme auftauen. Nach einer guten Minute ist das Vorhaben geglückt, der Pulsschlag deutlich vernehmbar, die Atmosphäre mystisch und das Schlagzeug bereit, mit seinen Moonboots tiefe Spuren zu hinterlassen. Im Studio, im Schnee, in den Herzen. Wobei letzteres weiterhin Simonsens Paradedisziplin bleibt. Wenn er seine Stimme in den schönsten Farben des Winters erklingen lässt, ist jedes Eis sofort gebrochen.
Womit man auf "Rouge/noir" allerdings nicht so richtig warm werden könnte, ist die nicht ganz ausgefeilte Dramaturgie: "Something of a voyage (into the underworld)" platzt beispielsweise mit seinem zweifelsohne liebenswerten, aber an dieser Stelle eher unpassenden Travis-Gitarrenpop in die finale Stille des Openers hinein und ist ungefähr so weit von der Unterwelt entfernt, wie Tromsø von Washington. Dafür gelingt Posaune und Cello mit "Last of Eve" eine Kollaboration zum Dahinschmelzen, "Andante" hat das mit Abstand fesselndste Crescendo des gesamten Albums parat, und "Appendix 1: As waves shape the sea" bleibt auch noch nach Überschreitung der Sieben-Minuten-Marke spannend. "Rouge/noir" bietet - abgesehen von dem kontrapunktischen Klavierarrangement am Ende von "Black ride" - zwar nichts, was man von Washington nicht schon kennen würde, aber die Norweger gehören nach wie vor ins Drei-Sterne-Fach. Mindestens.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Something of a voyage (into the underworld)
- Last of Eve
- Andante
Tracklist
- Rouge/noir
- Something of a voyage (into the underground)
- Last of Eve
- Andante
- Appendix 1: As waves shape the sea
- Guerre de rue
- Another sunset
- Fresco
- Black ride
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