Polarkreis 18 - The colour of snow

Motor / Vertigo / Universal
VÖ: 17.10.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das weiße Ballett

Vor anderthalb Jahren waren sie noch die schüchternen Kompliziertdenker aus den nicht mehr ganz neuen Bundesländern. Jetzt sind sie plötzlich Bombastfetischisten, Chartstürmer und sowieso der neueste Hype. Was ist passiert mit Polarkreis 18? Eigentlich nicht viel. Es sind Detailverschiebungen, die den Unterschied ausmachen. Erstens: Goldkehlchen Felix Räuber versteckt sein Falsett nicht mehr in der Klangwand, was aus Postrock plötzlich Pop werden lässt. Zweitens: Wo auf dem Debüt "Polarkreis 18" die mit sympathischer Prätention ausgedachten Streicher noch kostengünstig aus der Steckdose kamen, sorgten jetzt Sven Helbig und das Filmorchester Babelsberg für die ganz großen Klangräume.

"The colour of snow" passt zur synästhetischen Grundeinstellung der Band. Wahrnehmungen werden auf die Probe gestellt. Synthpop, anschwellende Bläser und Hörner, Gitarrenwände, Harfen, Frickelbeats, Pizzicato-Arpeggien, zweisprachige Texte, Kinderchöre. So viel Klang prasselt gleichzeitig auf den Zuhörer ein, dass jedes dritte dazu gedachte Wort "Kitsch" sein muss. Und doch steckt immer noch so viel Unsicherheit in Räubers Gesang. "Wir kommen nirgendwo an", klagt er im Opener "Tourist". "Wann hört das auf?" quält er sich in "Prisoner". Und mittendrin jubiliert er weltumarmend: "Wir sind allein".

Polarkreis 18 sind dabei nicht nur wagemutige Alles-auf-einmal-Woller, die auch mal einen tausendköpfigen Chor einfangen, sondern spielen gerne Selbstbedienung. Wenn einen der Song schon längst am Haken hat, bemerkt man, dass die Bridge von "Allein allein" frappierend an "A walk in the park" der ollen Nick Straker Band erinnert. Die Ohohos des Titelstücks wiederum steckten in einem früheren Leben mal in John Farnhams "You're the voice", und im Refrain huscht mal eben Madonna vorbei. Warum beide Stück so raffinierte Instant-Popsongs sind, erklärt das nicht. Denn das hat vor allem mit der ansteckenden Energie der Band zu tun.

Das gemächlich vorwärts treibende "Rainhouse" muss darum am Schluss an gefährlichen Stromschnellen und Riffs vorbei, während "Prisoner" und "River loves the ocean" mulmiges Säuseln und allerlei glitzernden Zierrat auffahren, wie man ihn in Mario Thalers Studio in Weilheim noch nicht oft gehört hat. Das erhebende "Happy go lucky" spielt zum Abschluss mit Eiskristallen und wärmt sich an ihnen das Herz, wie es sonst nur Tobias Kuhn von Monta kann. Polarkreis 18 haben zwar die große Wanne mit dem Zuckerguss dabei, aber sie füllen ihre Songs auch mit Verzweiflung, mit Leidenschaft, mit Hoffnung. Das Leben.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Tourist
  • Allein, allein
  • Rainhouse
  • Happy go lucky

Tracklist

  1. Tourist
  2. Allein allein
  3. Prisoner
  4. Untitled picture
  5. The colour of snow
  6. 130/70
  7. Rainhouse
  8. River loves the ocean
  9. Name on my ID
  10. Happy go lucky
Gesamtspielzeit: 40:54 min

Im Forum kommentieren

n00k

2021-11-21 19:25:29

Mal wieder hören!

The MACHINA of God

2021-11-21 16:05:45

EKEL

21.09.2008 - 18:48 Uhr
polarkreis 18 ist ein wunderbares beispiel dafür, wie eine band beim 2. album schon vollständig korrumpiert wurde.

hauptverantwortlich dafür ist eine völlig verunsicherte, gleichgeschaltete und von einer fehlentscheidung zum nächsten desaster taumelnde musikindustrie.

sicherlich wird das neue album charten, es werden grössere hallen gefüllt werden und alle werden von einem erfolg sprechen.

in wirklichkeit ist man künstlerisch jedoch jetzt schon in einer sackgasse gelandet aus der es kaum möglichkeiten gibt zu entkommen, so dass ab album nr 3 alles wieder bergab gehen wird.

es wird heute einfach keiner band mehr die möglichkeit gegeben sich in ruhe zu entwickeln, bzw sich keine zeit genommen eine band langfristig aufzubauen, nein, gleich das erste major album (p18 wechselten von motor zu universal) muss profit abwerfen, ist die kuh gemolken wird die heisse kartoffel fallengelassen sozusagen. ich
möchte fast wetten dass die band in 1 bis zwei jahren am ende ist.


EKEL war prophetisch. Um die Band ist es wirklich etwas schade. Potenzial war da und wurde dann in der großen Major-Kanone gen Großraum-Mainstream gefeuert.

shelleyling

2010-11-22 20:23:30

für alle polarkreis18-fans eventuell interessant:

es gibt (wie vor einem halben jahr mit revolverheld) wieder ein o2 unibandbattle über myspace music:

http://www.myspace.com/unibandbattle

da kann man sich mit seiner band bewerben, wenn man in die vorauswahl kommt, kann das restliche interent voten... wenn man gewinnt, darf man ein exklusives polarkreis18-konzert als opening act mit anführen.....

gibt doch bestimmt genug kreative musiker hier bei plattentests, oder nur theoretiker? :D

fan

2009-05-06 00:13:25

schön, dass ich musik hören kann, ohne derbe gewissensbisse und verlust der pseudo-indie-kredibilität zu riskieren. diese ganzen angeblich so wichtigen diskussionen über mainstream und kommerz interessieren mich bei polarkreis 18 überhaupt nicht.

wenn sich die band schon über 10 jahre in den verschiedensten stilrichtungen ausprobiert hat, wird sie das sicher auch weiterhin tun. auf die ergebnisse bin ich jetzt bereits gespannt.

Mixtape

2009-02-28 07:02:11

@ Oliver Ding:

Erstes Mal zwei Singles einer deutschen Band gleichzeitig in den Top Ten seit ewig. Respekt.

Gelingt diese Woche auch Peter Fox. Aber ok, der ist keine Band...

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