Fucked Up - The chemistry of common life

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 17.10.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Stehende Provokationen

Punk ist eine anstrengende Angelegenheit. Krach ist Pflicht, Provokation Trumpf, und ein Dankeschön kommt sowieso nie. Bei Fucked Up aus Toronto ist das allerdings auch nicht weiter verwunderlich, wenn sie auf MTV unverabredet die Studiodekoration zerlegen, bevor jemand einschreiten kann. Und sich diskutable Pseudonyme wie Concentration Camp und einen Bandnamen geben, der in einem ansonsten wohlwollenden Artikel der New York Times nicht gedruckt werden darf, weil der Chefredakteur ob der unzensierten Version mit Herzkasper kollabieren würde. Fucked Up wird's egal oder vielmehr recht sein. Ungewollte Unterstreichung durch gewollte Streichung ist schließlich auch was.

Bei diesen kontroversen Grundvoraussetzungen liegt das Ziel der Kanadier auch auf ihrem zweiten Album nach "Hidden world" mehr in Kopf- denn in Magengrubenhöhe. Beim betont sanften Intro zu "Son the father" fragt man sich noch, ob man nicht irrtümlich in die falsche Veranstaltung geraten ist. Doch spätestens wenn Leadgitarrist Mike Haliechuk und Sänger Damian Abraham loslegen, weiß man wieder: Fucked Up sind die verzwickteste Hardcore-Band der Welt. Denn auch Wände aus bis zu drei Holzfäller-Gitarren, berstende Drumkits und ungemütlich bellenden Gesang kann man äußerst eigenwillig verschweißen. Und so nicht nur an klassische Vorbilder wie Minor Threat oder Black Flag, sondern auch an die roh gezimmerten Komplexbretter erinnern, die diverse Mitglieder von Napalm Death einst in ihren Zweitbands zu bohren pflegten, wenn ihnen mal nicht nach Blast-Beats und Gegrunze war.

Fucked Up ist dagegen eher nach Flöten, Waldhörnern, durch die Echoschleife geschickten Loops und bis zu 18minütigen Songs wie auf der 2007er EP "Looking for gold". Im Albumkontext gibt sich die Band zwar schlüssiger und kompakter und dreht den Großteil der elf Stücke vergleichsweise zügig durch die Hartwurstmaschine - was aber noch lange nicht heißt, dass es sich hier um leichte Kost handelt. Eher um unheilvoll brodelnde Kraftpakete, die nebenbei Kernfragen menschlicher Existenz erörtern.

Für Zeilen wie "Chemistry ist just a word / We use to describe what occurs / When subtle changes in our minds / Make energy from common lives" möchte man der Band eine Einladung zum "Philosophischen Quartett" spendieren, auf dass sie die dort residierenden älteren Damen und Herren bald ihrer phrasendreschenden Ämter entheben möge. Der Fernseher wird danach vermutlich implodiert sein, doch jeder lärmbegeisterte Geisteswissenschaftler weiß: Opfer wollen gebracht werden. Anschließend kann man dann gerne zu "Magic word" und "Twice born" das Restmobiliar zertrümmern und an den Stellen mit weiblichen Backgroundvocals und melodiösen Leads die Bruchstücke zusammenkehren. Und sich am Ende wundern, dass es tatsächlich so etwas wie disziplinierten Hardcore mit humanistischem Anspruch gibt. Unmögliches Experiment? Versuch macht klug.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Magic word
  • Days of last
  • No epiphany

Tracklist

  1. Son the father
  2. Magic word
  3. Golden seal
  4. Days of last
  5. Crooked head
  6. No epiphany
  7. Black albino bones
  8. Royal swan
  9. Twice born
  10. Looking for God
  11. The chemistry of common life
Gesamtspielzeit: 52:48 min

Im Forum kommentieren

toolshed

2010-02-06 03:27:53

Ach ja.. Notiz an alle (und das werden eine Menge sein), die entweder zu spät oder zu faul waren, sich beizeiten die Singles zuzulegen.
Mit "Couple Tracks" gibt es diese nun komplett auf zwei CDs.

Deaf

2009-06-04 14:20:09

Kann und will nicht einsehen, warum diese Band hier dermassen untergeht. Besser kann man harte Musik nicht mit Pop(melodien) kombinieren.

Deaf

2009-03-27 08:18:03

Werde das Debutalbum dann auch mal anhören müssen. Kann aber nicht ganz nachvollziehen, was an "Chemistry" nicht eingängig genug sein soll. Bis und mit Song 6 sind da doch nur Hits!

Walenta

2009-03-26 16:00:41

>>"hidden world" war geiler, die sog. "prog-elemente" wirken mir diesmal zu gewollt oder aufgesetzt. außerdem ist mir die neue fucked up nicht eingängig oder "hittig" genug.">>

dem muss ich mittlerweile zustimmen. zwar mag ich "chemistry..." recht gerne, gegen den vorgänger (imo eine verdammte hitsammlung, wenn auch ne spur zu lange) stinkt die platte jedoch ziemlich ab.
für´s nächte album würd ich mir gar wieder eine rückbesinnung auf die ersten singles (bzw. eben "epics in minutes") wünschen....

Deaf

2009-03-26 11:54:54

Habe das Album in letzter Zeit gerade intensiver gehört, an die Stimme habe ich mich mittlerweile auch gewöhnt. Wirklich ein starkes Album, das ich jedoch kaum bewerten kann, da mir Referenzen in dieser Musikrichtung fehlen.

Vor allem die erste Hälfte ist sehr toll.

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