Ani DiFranco - Red letter year
Righteous Babe / Rough TradeVÖ: 04.10.2008
Ferien für immer
Wer hat denn heute eigentlich noch überhaupt zu irgendetwas Zeit? Jeder muss schnell weiter, bastelt an diesem oder hat jenes noch nicht erledigt, will noch dort anrufen und hat dabei noch gar nicht über das hier nachgedacht. Und dann erzählt noch irgendeiner was vom Kinderkriegen - wann soll man sich denn nur um das Balg kümmern, hat man doch ohnehin schon viel zu viel zu tun. Es wäre interessant, zu wissen, wie Ani DiFranco das alles unter einen Hut kriegt. Denn nach der Best-Of "Canon" und einem Lyrikband vom letzten Jahr ruft die 38-Jährige nun auf ihrem 18. Album gleich einen ganzjährigen Feiertag aus. Und das obwohl Töchterchen Petah munter nach Mammi quäkt.
Aber ein ruheloser Wirbelwind war die Antifolk-Ikone ja schon immer - Musikerin und Aktivistin bis ins Mark, so dass es wohl nicht nur aus emanzipatorischen Überlegungen erst gar nicht zum Tausch der Gitarre gegen die Küchenschürze kam. "Red Letter Year" knüpft jedenfalls bruchlos an frühere Veröffentlichungen an, auch wenn ihr typisches Stakkatospiel überraschenderweise nur selten aufblitzt. Dafür gibt es Bläsereinlagen wie beim fabulösen Schlusstrack oder elegante Souleinlagen. Vor allem aber umweht ein ausgesprochen zarter und entspannter Hauch das Gros der Songs. Und DiFranco versucht dazu meistens gar nicht mehr, als das eben nötige zu sagen: "I don't mind waiting in line / No no / Long as I'm with you / I'm having a good time."
Kleine Spitzen gegen das Establishment bleiben natürlich trotzdem wieder nicht aus. Schließlich wird DiFranco Qualen leiden, wenn die ganze Welt über die vermeintliche Jahundertschlacht Obama vs. McCain streitet, während die kleine Sängerin schon bei der Vorwahl zwischen Barak und Hillary entschlossen den Kopf geschüttelt hat. Nein, von denen beiden keine(r), denn solche "Emancipated minor / Well directed and brilliantly casted" bekommen ihre Zustimmung nicht, wie man beim herrlichen, gleichnamigen Song vermuten kann. Unter Streichern klagt "The atom" schwermütige Fortschrittskritik, während "Alla this" noch einmal zum Rundumschlag ausholt: "I won't rent you my time / I won't sell you my brain / I won't pray to a male good / Cuz that would be insane."
Ja, aber wie macht die Frau das nur? Schlafabstinenz? Wahrscheinlich. Fernöstliche Meditation? Mit Sicherheit. Aber vor allem stellt man sich DiFranco entspannt an einem verschlafenen See vor. Im Schaukelstuhl auf der Veranda sitzend, auf der Gitarre nach Liedern suchend und auf den Lippen neue Melodien, während die kleine Petah daneben in ihrem Kinderbett ruhig vor sich hin schlummert. Aufs Wesentliche reduziert und verschlossen gegenüber all dem blassen Trubel, wird das wohl ihr gut gehütetes Geheimnis bleiben, das so manch einer doch auch mal für sich entdecken sollte.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Emancipated minor
- The atom
- Red letter year(Reprise)
Tracklist
- Red letter year
- Alla this
- Present/Infant
- Smiling underneath
- Way tight
- Emancipated minor
- Good luck
- The atom
- Round a pole
- Landing gear
- Star matter
- Red letter year(Reprise)
Referenzen
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