The Streets - Everything is borrowed

Locked On / 679 / Warner
VÖ: 26.09.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Hemd ohne Taschen

Das liebe Geld. Es soll ja auf der Straße liegen, aber anscheinend hat sich immer schon jemand vorher gebückt. Und wenn man mal ein bisschen Kohle hat, wird sie auch noch aus Schusseligkeit im Klo heruntergespült. Mike Skinner, der britische Hänfling, der auf seinen Alben stets verdrogte Clubnächte, durchsoffene Wochenenden mit den Lads und akuten finanziellen Ruin verhandelte, muss es wissen. Der Titel des vierten Albums von The Streets könnte da eigentlich gar nicht folgerichtiger sein. Alles nur gepumpt. Klar. Leisten kann Skinner sich ja ohnehin nichts. Er tat zumindest bisher so. Doch betrachtet man das Cover von "Everything is borrowed", muss es hier auch noch um etwas anderes gehen.

Keine urbanen Nachtszenarien, keine Dicke-Hose-Insignien, statt dessen Naturaufnahmen von unberührten Landschaften im Artwork, und das Wissen um die eigene Vergänglichkeit als Thema. Späte Einsichten von jemandem, der inzwischen mehr als ein Bier trinken kann, ohne vorher jeden Cent umzudrehen. Natürlich verkündet die Myspace-Seite weiterhin Dinge wie "Alcohol is the answer - what was the question?", und auch andere Lieblingsthemen Skinners sind auf diesem Album präsent. "I love you more (than you like me)" humpelt auf einer Pianofigur stark angetrunken neben der aussichtslos Angebetenen her und illustriert höchst unterhaltsam, was alles nicht passieren kann, wenn man darauf verzichtet, miteinander zu reden. Noch unverblümter treibt es die tolldreiste Beischlafbuhlerei von "Never give in". Sternstunden der Selbstüberschätzung.

Allerdings hat "Everything is borrowed" jede Menge mehr zu bieten. Das Titelstück etwa macht als erste Single mit Synthie-Bläsern, vertrackten Beats und weiblichem Backgroundgesang Eindruck und gibt die sparsamste Hymne ab, die man sich vorstellen kann. "The way of the dodo" prophezeit der Menschheit das gleiche Schicksal wie dem ausgestorbenen Riesenvogel, der seinerzeit ähnlich ungelenk dahergewatschelt sein muss: Die Rhythmen drohen jede Minute den Geist aufzugeben, die frisch aus der Schrottkiste gezogene Gitarre beschreibt dazu ein knurriges Blues-Riff. Ein störrischer Hit mit Mittel- statt Zeigefinger.

Doch auch diese kumpelige Roheit kann nicht verhehlen, dass Skinner sich vom Craig David der allwissenden Müllhalde zum geistreich formulierenden und musikalisch versierten Typ entwickelt hat, der sogar ein Orchester und Musiker wie Ed Harcourt im Studio begrüßt. Und alles zusammen hat immer weniger mit 2Step, Grime oder gar HipHop gemein, wenn "Alleged legends" schwere Streichermelancholie verbreitet oder "On the flip of a coin" sich gar in der Nähe von gekipptem Balkan-Indie herumdrückt. Natürlich sind da immer noch die Beats - doch womöglich auch die nicht mehr lange, da Skinner bereits angekündigt hat, hiermit sein vorletztes Album aufgenommen zu haben. Und dann wahrscheinlich alles stehen und liegen lassen wird, was "Everything is borrowed" gleichzeitig so amüsant, bedeutsam und musikalisch souverän macht. Das letzte Hemd hat nun einmal keine Taschen.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I love you more (than you like me)
  • The way of the dodo
  • On the flip of a coin
  • Alleged legends

Tracklist

  1. Everything is borrowed
  2. Heaven for the weather
  3. I love you more (than you like me)
  4. The way of the dodo
  5. On the flip of a coin
  6. On the edge of a cliff
  7. Never give in
  8. The cherry end
  9. Alleged legends
  10. The strongest person I know
  11. The escapist
Gesamtspielzeit: 38:54 min

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