Bellafea - Cavalcade

Southern / Cargo
VÖ: 16.09.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der Gaul durch

Heather McEntire hat nun schon seit ein paar Jahren einen echt beschissenen Tag. So scheint es zumindest, da sich die Sängerin/Gitarristen des Chapel-Hill-Dreierpacks Bellafea selbst in den sensibelsten Momenten stets erbost und kampfbereit zeigt. Gleich die ersten Takte ihres Langrillen-Debüts machen das deutlich: "If we are going to grieve / Then we're going to do it right now / Hold back your hair / So I can make sure / You're crying, too." Mit nur mäßig unterdrückter Wut gesungen, sodass man die Faust vor der Nase des Kummerpartners zittern sieht, ist hier kein Platz für Drangsal oder gar Trauerflor. Und auch sonst ist Zähnefletschen und Gemeinheiten-vor-sich-hin-Murmeln schon eher das Programm von "Cavalcade". Mit jeder Note, die gespielt wird, mit jedem Muskel, der sich spannt, geben sich Bellafea absolut unversöhnlich. Trotz größter Melodiösität, trotz dichtester Rhythmik, heißgelaufener Gitarren und prominenter Produktion von Brian Poulsen (Slint, Beck, Superchunk) kratzt sich diese Musik beständig selber wund. Und hat dabei nicht mal Zeit zur Narbenbildung.

Übertroffen wird diese Haltung nur noch durch die Art und Weise, wie Bellafea mit ihrem immensen Arsenal an Gastmusikern umgehen. Nur selten hat man einen Bandnukleus gehört, der ein Potenzial derart kratzbürstig verschwendet. Unter anderem Dave Laney und Ben Davis (Milemarker, The Jetts) oder Mountain-Goats-Mastermind John Darnielle dürfen im Hintergrund singen, grollen, in die Hände klatschen, müssen sich aber damit abfinden, dass im Ergebnis nicht mehr übrig bleibt als draufsteht: Background nämlich. Beinahe lässt sich mutmaßen, dass sich Bellafea all das nur ans Bein gebunden haben, um Zäune in ihrer Musik zu errichten, die sie dann um so konsequenter umreißen können. Einzig eine einsame Violine zieht teils unangefochten ihre Kreise - bis sie bei "Thornbird II", einem balladesken Fliegenfänger, von schreienden Noise-Rock-Takten entzwei gerissen wird. Eine weitere energische Intervention, von der sich der Song nicht mehr erholen wird, und die sich auch das Engelsinstrument gnadenlos untertan macht: Es kann nur noch mit- und hinterherquietschen, um auf dem mit hörbarer Unwucht klackernden Metrum von "Telling the hour" schließlich doch einen formvollendeten Ruhepol zu finden.

Allein auf dem mächtigen "Arctic" hagelt es unmissverständlich fordernde Shouts aus dem Off und kann sich auch die Violine mit den Spannungsbögen arrangieren. Wirklich etwas gegen die Kraft von Bellafea auszurichten gibt es aber auch hier nicht. Wer nach einem resoluten Kopf durch die Mauer im Wohnzimmer der Nachbarn aufwacht; nebenan dann lieber das Badezimmer flutet, statt schuldbewusst wenigstens ein Frühstück herzurichten und dann doch einen zum schwungvollen "Sorry" geflochtenen, einsamen Rosenstängel auf dem Türsims hinterlässt - der ist ebenso Schöngeist, Kraftprotz und unzurechnungsfähig wie Bellafea. Ob es solche Menschen gibt? Nun, zumindest gibt es, seit kurzem, solche Musik.

(Tobias Hinrichs)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Depart (I never knew you)
  • Telling the hour
  • Arctic

Tracklist

  1. Depart (I never knew you)
  2. Bones to pick
  3. Thornbird II
  4. Walking distance
  5. Telling the hour
  6. Run rabbit run
  7. Geography
  8. Arctic
  9. Stranger
Gesamtspielzeit: 30:24 min