Lykke Li - Youth novels

LL / Warner
VÖ: 29.08.2008
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Aus der Luft gegriffen

Lykke Li ist weit gereiste Künstler-Tochter, Teilzeit-Selbstvermarkterin und so schnieke erblondet, wie es wohl nur Schwedinnen hinbekommen. An sich ist das noch nichts besonderes, kämen mit ihrem Debütalbum nicht auch noch Drahtseiltänzerin, Trapezkünstlerin und Klippenspringerin zum Portfolio hinzu. Denn Li und Produzent/Co-Songwriter Björn Yttling (Peter Bjorn and John) inszenieren "Youth novels" als vogelfreie Luftakrobatik. Sie breiten ein grobes Netz über die Kompositionen, hängen es über eine gähnende Schlucht, leeren ihre Taschen, schütteln Herz und Seele aus und vertrauen dem, was hängen bleibt, zugleich aber den Abgrund und das Nichts darunter hörbar werden lässt. Was sich hier erst einmal verfangen hat, sitzt fortan wie eine Spinne im Netz, wunderlich, lauernd, selbstsicher und niemals auch nur schlingernd oder trudelnd. Ohne Absturzgefahr ist Li stets Queen of her castle, das mit Betonpfeilern in den Äther gebaut wurde.

"Hanging high, "Little bit" und "Let it fall" genügen jeweils ein Detail, um ihre Energien ordentlich anzutriggern. Ein schnarrender Drumlauf, ein bis zwei Percussionschläge, ein Metronom, ein Mariachi-Takt, eine spanische Gitarre, ein dröhnender Klavier-Dreiklang: Stets beginnt hier alles, indem es sich als einsame Betonung in den Rhythmus schiebt, um sich erst ganz sachte zu Melodiefäden zu öffnen. Nach und nach ergänzen sich dann genau die Partikel, die "Youth novels" zum Poplexikon aufschlagen, ohne allerdings in irgendwelchen Pomp auszuarten. Die von Li mit dämonischem Grinsen im Kinderchor gesungenen Passagen, eine Trompete als Hubschrauber über dem nächtlichen Großstatdtflackern, Paukenschläge, die wie Erdbeben aus der Songkruste aufsteigen, Morricone-Choräle oder ein Gänsetöter-Saxophon, mit dem das ohnehin in äußerster Schizophrenie dahintänzelnde "Dance dance dance" kongenial zu seinem A-Capella-Schluss hinleitet: alles behutsam und ruhig konstruiert, doch in der Konsequenz zu echten Husarenstücken veredelt.

Auch Songs wie "Complaint department" und der eröffnende Trauermarsch "Melodies & desires" stellen präzise ihren Bauplan vor. "You'll be the rhythm and I'll be the beat", flüstert Li, und es besteht gleich zu Beginn nicht der Hauch eines Zweifels: Sie weiß ganz genau, was sie hier veranstaltet. Rhythmus ist für ihre Songs kein Grundbau, sondern eine metaphysische Kategorie. Er sei die erste Ebene, die durch das Nichts schneidet, so nannte es einst Gilles Deleuze. Erst wenn man Lis Songs zuhört, weiß man, wie Recht er damit gehabt hat. Aus Luft und Leere geboren, kommen die Muster angeflogen. Li und Multiinstrumentalist Yttling - der hier buchstäblich alles bedient, was nicht bei Drei an den nächsten Hydranten gekettet ist - behandeln sie wie Manipulationen an einem DNA-Strang. Sie spielen Gott, erschaffen ein Etwas aus dem Nichts und fügen sich doch in die schon längst ausformulierten Gewissheiten, die einen Song gelingen lassen. Nur: Sie zeigen, wie sie es machen. Zu jeder Sekunde kann man den Entwurf verfolgen, weshalb "Youth novels" auch keine Machtspielchen im Sinn hat, eher schon ein Teilen des Wissens oder zumindest der Information.

Das funktioniert nicht ohne eine vollkommen verquere Utopie. Das überall lauernde und am Anfang stehende Nichts sieht Li nie als bedrohlich chaotische Stille, die gerade Musik unbedingt zu überwinden hat, um überhaupt erst einmal anfangen zu können. Die Stille ist ihr Gefährte, Li lauscht tief in sie hinein und fügt ihr dann Musik wie Streicheleinheiten zu. "Youth novels" lebt in der Tat von Luft und Liebe allein. Wie die Jugend ist dieser Pop eine unerhörte Phantasie. Ein Luftschloss, auf Treibsand gebaut.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Melodies & desires
  • Dance dance dance
  • Tonight
  • Breaking it up

Tracklist

  1. Melodies & desires
  2. Dance dance dance
  3. I'm good, I'm gone
  4. Let it fall
  5. My love
  6. Tonight
  7. Little bit
  8. Hanging high
  9. This trumpet in my head
  10. Complaint department
  11. Breaking it up
  12. Everybody but me
  13. Time flies
  14. Window blues
Gesamtspielzeit: 52:12 min

Im Forum kommentieren

knobi

2011-07-19 08:40:31

die ist sooo niedlich, ich möchte meine hose gar nicht mehr erst wieder hochziehen.^^

Girl

2009-01-09 10:39:08

Kinderstimme singt Kinderlieder. Jungs, ihr habt wirklich nen seltsamen Geschmack. Soviel Niedlichkeit halte ich persönlich nicht aus.

arnold

2009-01-09 10:33:26

Kann mir jemand was zur Aufmachung der Hülle sagen? Bei cdwow.net gibts das Album unter anderem für 8 Euro, da steht dann aber auch Jewel Case dahinter. Bin etwas verwirrt.

Lou Bergs

2008-11-24 15:52:40

Ich weiß nicht wo ihr wohnt, aber für den ein oder anderen dürfte es sich lohnen statt Köln, Hamburg oder Berlin nach Nijmegen zu fahren. Direkt hinter der deutsch-niederländischen Grenze und 2 Euro günstiger, oh ja!

lykke li

2008-11-24 15:04:11

Besucht meine Komzerte! Da klimpere ich mit meinen Ketten und knall euch samples bis zur ohnmacht um die Ohren!

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