The Fiery Furnaces - Remember

Thrill Jockey / Rough Trade
VÖ: 05.09.2008
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Rasende Reporter

Man kann nicht überall gleichzeitig sein, man kann aber immerhin so tun, als ob. Dachte sich Matthew Friedberger irgendwann auf Tour, als er selbst schon nicht mehr wusste, woher er gerade kam und wohin es als nächstes gehen sollte. Für eine Band auf der Straße ist nichts so unwichtig wie der Name des nächsten Auftrittsorts - also hat sich der Songwriter, Teilzeitsänger, Multiinstrumentalist und existentielle Detektiv der Fiery Furnaces ein Livealbum-Konzept überlegt, das genau diesen Umstand illustriert: "Remember" ist eine 51 Tracks starke Doppel-CD/Dreifach-LP; eigentlich befinden sich darauf aber nur zwei 65-Minuten-Medleys, die mit Setlists, Songstrukturen und Aufnahmeorten jonglieren, als gelte es, im Circus Krone die Messerwerfer auszustechen. In der Praxis erweist sich das Ganze als ebenso tollkühne wie beknackte Idee - und offenbart ein faszinierendes Dokument des unvermeidlichen Scheiterns der Fiery Furnaces an sich selbst.

"Remember" ist quasi das Worst Case Scenario einer Fiery-Furnaces-Best-Of-Platte. Mal klingt es wie astrein vom Mischpult abgenommen, dann plötzlich, als hätte Friedberger die übersteuerte Handyaufnahme eines Besuchers verwendet, der den Auftritt vom Klo aus verfolgt hat. Dank furchtloser Logistikleistung, unendlichem Copy-&Paste-Eifer und allgemeingültiger geistiger Umnachtung könnte man beide Tonqualitäten schon mal im gleichen Song erleben - wenn die Platte denn noch Songs im klassischen Sinn enthielte. Damit aber will "Remember" zuallerletzt dienen, und so kann auch für die Highlightzeile dieser Rezension nur eine grobe Faustregel gelten: Die besten Songs sind immer die ersten drei, egal, wo man anfängt. Danach wird es zunehmend schmerzhaft.

Bedauerlicherweise übersieht "Remember" mit diesem Ansatz, was weite Teile der westlichen Welt den Fiery Furnaces immer schon absprechen wollten: dass viele ihrer Songs ja durchaus anrührende, hintersinnige Erzählungen sind. Durch permanentes Kartenmischen, selbst innerhalb der einzelnen Medleyparts, werden die Geschichten der Fiery Furnaces aber ihrer Identität beraubt und so zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Es bleibt nur eine endlose Aneinanderreihung von Tönen, Wortfetzen und abgewürgten Melodien, die sich gar nicht erst bemühen, ihre Austauschbarkeit zu verstecken. Vielleicht ist das sogar der spannendste Aspekt an "Remember": Konsequenter und schonungsloser als hier hat sich schon lange niemand mehr selbst entzaubert. Friedberger kratzt sich bei heruntergelassener Hose am Sack - und lässt die 20 tapferen Fans zugucken, die seiner Band noch geblieben sind.

Grob einteilen kann man "Remember" immerhin in größere Blöcke, die sich an den bisherigen fünfeinhalb, durchgängig sehr guten bis herausragenden Fiery-Furnaces-Studioalben abarbeiten. Rück- und Vorausgriffe auf bereits gespielte oder für später geplante Stücke sind trotzdem jederzeit drin; letztlich ist es ohnehin egal, weil unablässiges Orgeleiern, muskulöse Noiserock-Gitarren und ein weitgehend außer Kontrolle geratenes Schlagzeug selten mehr als die Grundideen der Originalsongs übrig lassen. Aufnehmen kann es allerdings keine der selbst für Fiery-Furnaces-Verhältnisse unangenehm hastigen und fahrigen Neugestaltungen mit ihrer Vorlage - und so bleiben "Remember" neben der unbestreitbaren Komik einer Shuffle-Platte, die im Shuffle-Modus einer handelsüblichen Stereoanlage endgültig unhörbar wird, nur zwei Gewissheiten: Auf diesem Livealbum wird man garantiert kein rhythmisches Mitklatschen erleben. Und die Grandma-Platte der Friedbergers war in Wahrheit purer Pop.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • -

Tracklist

  • CD 1
    1. Intro
    2. Blueberry boat
    3. Single again
    4. Two fat feet
    5. Don't dance her down
    6. Single again (Reprise)
    7. Wicker whatnots
    8. Little thatched hut
    9. I'm in no mood
    10. Black-hearted boy
    11. Bitter tea
    12. Waiting to know you
    13. Vietnamese telephone ministry
    14. Oh sweet woods
    15. Borneo
    16. Benton Harbor blues
    17. Japanese slippers
    18. Benton Harbor blues (Reprise)
    19. Whistle rhapsody
    20. Crystal clear
    21. Whistle rhapsody (Reprise)
    22. Teach me sweetheart
    23. Evergreen
    24. Bitter tea (Reprise)
  • CD 2
    1. Chris Michaels
    2. Quay cur
    3. My dog was lost but now he's found
    4. Spaniolated
    5. Name game
    6. Birdie brain
    7. 1917
    8. Slavin' away (Intro)
    9. Tropical ice-land
    10. Asthma attack
    11. Tropical ice-land (Reprise)
    12. The wayward granddaughter
    13. The Garfield el
    14. A candymaker's knife in my handbag
    15. 4823 22nd Street
    16. Slavin' away
    17. Seven silver curses
    18. Clear signal from Cairo
    19. I'm gonna run
    20. Here comes the summer
    21. Chief Inspector Blancheflower
    22. Automatic husband
    23. Ex-guru
    24. Clear signal from Cairo (Reprise)
    25. Philadelphia Grand Jury
    26. Navy nurse
    27. Uncle Charlie
Gesamtspielzeit: 131:59 min

Im Forum kommentieren

Senior Twilight Stock Replacer

2009-09-02 21:23:53

Lol, was ist denn mit der Vinyl-Ausgabe los? Zuerst dachte ich, die sei LP-Wechsler-fähig weil die LP-Ränder so dick sind, allerdings passt die Aufteilung auf die einzelnen Seiten nicht so ganz:
* LP 1, A: Seite 1, B: Seite 4 (würde zur Wechslertheorie passen)
* LP 2, A: Seite 2, B: Seite 3 (passt nicht mehr zur Theorie)
* LP 3, A: Seite 5, B: Seite 6 ( - " -)

fakeboy

2008-09-06 11:09:46

Was für mich ein Grund wäre, das Album stark abzuwerten. Ein Album am Stück hören zu können, ist bei mir mal Grundvoraussetzung. Das geht ja bei anderen "schwierigen" Alben auch.

"torture garden" von naked city (john zorn) kann sich kaum jemand am stück anhören, ist trotzdem genial! ich finde es kann durchaus auch eine qualität eines albums sein, dass es einen derart plättet dass man in der hälfte erst mal durchschnaufen muss. entscheidend ist. ob man nachher wieder weiter hören will oder nicht.

Habe denselben Eindruck vom Album wie Dän - zu konfus das Ganze und in zu schlechter Klangqualität.
klangqualität ist überhaupt nicht schlecht, es werden halt einfach verschiedene arten von live-mitschnitten kombiniert: gut klingenden und weniger gut klingende. gerade heute wo jeder mit seinem handy furchtbare mitschnitte macht und diese auf youtube lädt find ich es eine sehr gute, fast schon subversive idee die auch technisch wirklich gut umgesetzt ist.

Demon Cleaner

2008-09-06 10:53:07

natürlich kann man sich das unmöglich am stück anhören

Was für mich ein Grund wäre, das Album stark abzuwerten. Ein Album am Stück hören zu können, ist bei mir mal Grundvoraussetzung. Das geht ja bei anderen "schwierigen" Alben auch.

Habe denselben Eindruck vom Album wie Dän - zu konfus das Ganze und in zu schlechter Klangqualität. Kenne ansonsten nur "Blueberry Boat", das hat mich eindeutig mehr fasziniert.

Souljacker

2008-09-05 23:29:43

Achja: Wie immer muss ich einen Lob an Dän loswerden der hier mal wieder ne wunderbare Kritik abgeliefert hat...obwohl ich 4 von 10 Punkte doch für zu wenig halte. Naja, jedem seine Meinung.

Souljacker

2008-09-05 23:22:01

Okay, ich hab jetzt die erste CD durch und muss schon sagen, dass mir teilweise wirklich die Schweißperlen auf der Stirn standen. Das ist ja mal wieder eine absolut anstrengende Angelegenheit. Nach den ersten neun "Liedern" habe ich gedacht: "Eigentlich wäre mir ein normales Live-Album lieber gewesen." Nach einer Weile habe ich mich aber reingefuchst (Das längere Bitter Tea-Medley sei Dank) und meine Meinung hat sich teilweise geändert. Warum SOLLTEN die Fiery Furnaces ein "normales" Live-Album aufnehmen? Auf irgendeine abgefuckte Art und Weise funktioniert die Platte.

Warum jetzt aber Aufnahmen mit wirklich mieser Klangqualität den Weg auf den Tonträger gefunden haben entzieht sich ebenfalls meines Wissens. Zum Glück sind die Abschnitte mit dem Toiletten-Sound (auf der ersten CD) rar gesäät und deswegen grade noch so zu verkraften.

Aber Hand aufs Herz: Diese CD werde ich wohl einmal hören und dann so schnell nicht wieder. Eine Erfahrung wars bis jetzt auf jeden Fall. Einige große Momente sind hängen geblieben: Die tolle Fassung von "Teach me sweetheart", die unglaublichen Takteskapaden von "Black-hearted boy", die Erkenntnis, dass "Wicker Whatnots" doch so etwas wie ein Lied zu sein scheint.

Dem gegenüber steht der unfassbar miese Einstieg mit der Endlos-Version von "Blueberry boat", und das lieblose Verhunzen von "Crystal clear" und "Evergreen". Licht und Schatten halten sich aber noch die Waage. Als Experiment finde ich die Platte ziemlich interessant. Wirklich repräsentativ für die Live-Qualitäten dieser Band ist sie jedoch nicht.

@ fakeboy
Kauf dir am besten alle regulären Furnaces-Platten. Wenn dir der Einstieg durch "Remember" gelungen ist, dann verdienst du echt meinen Respekt! Und wenn du diese Scheibe gut findest, dann dürften für dich die anderen Platten eine Offenbarung sein. ;)

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