Eveline - Waking up before dawn

Sopot / Al!ve
VÖ: 04.07.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Mitverwohner gesucht

Wenn einem die Wollmäuse auf dem morgendlichen Gang zum Kaffeeautomaten von oben herab zuprosten und sich die Silberfischchen vom Bad direkt in die Walfangquote gemendelt haben; wenn der Frühjahrsputz die Verjährungsfrist eines Kapitalverbrechens aufweist, man den Kalkrändern um die Spüle mit der Kettensäge droht und zum Abwasch großzügig mit dem Sandstrahler draufhält - dann stellt sich unweigerlich die Frage: Sauber machen oder umziehen? Selber machen oder Profis ranlassen? Wenn zudem auch noch das T-Shirt von zuviel Oral-History vor der Brust spannt und die geplatzten Nähte der heißgeliebten O-Dog ein Fall für den nächsten Guinness-Buch-Zählrekordversuch sind, so ist das Gemüt des Wohnungsverwohners schnell erkannt: Außen pfui und innen ... auch.

Eveline schaffen hier nicht unbedingt Abhilfe, versuchen aber doch ihr möglichstes. Denn hier kann man sich zumindest ein Beispiel nehmen. In den wunderlichen Inzestversuchen zwischen Indie- und Post-Rock macht "Waking up before dawn", das zweite Album der Bologneser, alles genauso und doch anders. So lauert "Bt90" zunächst noch recht erfolgreich der Kieferbrecher-Coolness von Slints "Good morning, captain" auf, lässt sein Ohrschleifer-Riff zur Mitte hin allerdings einfach fallen und Sänger D.M. irgendwas im June-Of-44-Sprack erzählen - bevor das Stück machtvoll wieder aus der Deckung springt und sich doch durch die bis zum Deltamuskelkrampf angezogene Handbremse vor der eigenen Berechenbarkeit rettet.

Auch die Gitarren von "Dreams of winter" zupfen schneller, als es ihrem Kummerbrokat gut tut, und machen ihrer Trauerschleife mit einem links antäuschenden Akkord kurzfristig den Seemannsknoten, um dann doch ungebrochen weiterzufließen. So entwickelt sich der Song zu einem dichten Düster-Jazz-Pop, der dem eigenen, zum Zerfließen gebrachten Gebrechen mehr als gebannt zuhört. Nicht weiter schlimm, denn "S/T" genügen ein klickernder Polyrhythmus und ein paar Knöpfchendreher-Frequenzen, um sich aus der Löffelchenstellung wieder zu erheben. Mehr Zeit nehmen sich die Klaviertakte von "The head and the winter" und die akustischen Gitarren von "Dead railway stop" oder "The big m. ist tryin' to take us down", die ihre NDR2-Ballonfahrten trotz Loch in der Banane (Klaus Weiland, der alte Zottelbart!) mit den pickelig hüpfenden Beatkapriolen Joan Of Arcs vorantreiben, ohne in deren enervierende Gewitterfront-Exzentrik zu steuern.

Auf diese Weise gelingt es "Waking up before dawn", schrullig zu sein, aber nicht spleenig zu wirken, durcheinander zu werfen, doch nicht zu verwirren. Eveline zeigen sich verrückt im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinn. Durchdrehen wird hier nichts und niemand, sich jedoch stets anders positionieren, und zwar genau so weit außerhalb des Rahmens, dass die großen Formate im Panoramageierblick bleiben. Möbelpacker, Putzhilfe und Innenarchitekt in einem - zu dieser Musik schleppt man sein Päckchen nur zu gerne. Es nimmt einem ja doch keiner ab.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The big m. is tryin' to take us down
  • Dreams of winter
  • S/T

Tracklist

  1. Dead railway stomp
  2. The cowboy winter prayer
  3. The head and the river
  4. The big m. is tryin' to take us down
  5. Why want u
  6. Dreams of winter
  7. S/T
  8. Bt90
  9. Apples from the electric tree
Gesamtspielzeit: 39:43 min

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m.caliban

2008-07-22 12:04:19

Feines Album mit sehr eigener Stimmung, was haltet ihr davon?

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