Tristan Brusch - My ivory mind
Timezone / Rough TradeVÖ: 18.04.2008
Die leiseste Ahnung
Wer die ganze Opulenz einer Wagner-Oper in seinem Vornamen trägt, weiß den Zauber des zart Besaiteten schon früh zu schätzen: Tristan Brusch war gerade drei Jahre alt, als er einem Konzertviolinist die Geige aus der Hand riss und quietschfidel seine ersten Töne zusammenkratzte. Der Beraubte verfolgte das Geschehen voller Stolz, handelte es sich bei dem Fiedeldieb doch um seinen eigenen Filius. Ein paar hundert Unterrichtsstunden später hatte dieser den Bogen raus, lernte dann doch lieber Klavier und wurde schließlich Gitarrist der Schülerband Buddha's Chocolate Company, die es immerhin zu passablem Lokalruhm brachte. Im stillen Kämmerlein aber, da begann etwas viel Wertvolleres zu gedeihen: die außergewöhnliche Identität eines jungen Solokünstlers. Auch wenn ihn das Tübinger Uhland-Gymnasium erst in ein paar Tagen als frisch gebackenen Abiturienten entlassen wird, hat Brusch seine musikalische Reifeprüfung schon längst erfolgreich abgelegt.
Seine Kompositionen besitzen eine hinreißend kauzige Virtuosität, die Samthandschuh-Sensibilität eines Porzellanladenhüters und hochgradig filigrane Arrangements, deren nüchterne Dramaturgie beinahe schon hypnotisch wirkt. Seine Stimme umgibt die perlmutschillernde Aura eines Fabelwesens - das einen wunderlichen Akzent und eine betörend waidwunde Androgynität kultiviert. Und das alles im liebevoll vergoldeten Rahmen einer spartanisch instrumentierten Folk-Platte. Der Zauber des zart Besaiteten fasziniert Brusch noch immer: Gitarre, Banjo, Violine und Kontrabass kolorieren "My ivory mind" im Alleingang. Kein Piano, keine Percussion und auch keine Elektronikexperimente, wie noch auf seinem letztes Jahr im Eigenvertrieb veröffentlichten Debüt "The peacock".
Der elfenbeinerne Verstand verbündet sich mit prachtvoll blühender Phantasie: Zu kastanienbraunem Banjogeplänkel inszeniert "Trist enough" ein Kaffeekränzchen mit Jesus und landet nur ein paar ungezuckerte Tässchen später beim Teufel: "Devil's trill sonata" ist eine Offenbarung in Moll - ein gütiger Kontrabass umarmt die leisen Seufzer der elektrischen Gitarre, während die akustische mit stoischer Ruhe ihr Leid klampft und Brusch samt würdevoll gurrendem Gastvokalist das Wort "very" vom Kap der guten Hoffnung ins Tal der Tränen rollt. Dem Titeltrack gelingt indes ein kammermusikalisches Kleinod mit Satin-Strophen und Raufaser-Refrain, "The queen" setzt sich den Gospel-Diamant "Swing low, sweet chariot" ins Krönchen, und "Gavotte in A" modernisiert das barocke Gewand des historischen Gesellschaftstanzes mit einem genüsslich gezischten "fuck you". Für die in nur 48 Stunden vollbrachten Aufnahmen hat Brusch dem Konzertviolinist seine Geige wieder in die Hand gedrückt - Vater Jochen fiedelt auf "My ivory mind" die allerfeinsten Bordüren. Und wird auch weiterhin das Geschehen voller Stolz verfolgen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- My ivory mind
- Devil's trill sonata
- Gavotte in A
Tracklist
- Trist enough
- My ivory mind
- Devil's trill sonata
- Not half as kind as you
- Little funny man
- No conversation
- Sad clown
- Gavotte in A
- The queen
- Little flowers to please your vanity
- Strongly forbidden you
- Lullaby
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