Nicolai Dunger - Nicollide and the carmic retrebution
EMIVÖ: 11.04.2008
Stolpersteine
Vier Jahre sind ins Land gezogen, seitdem Nicolai Dunger das letzte Mal auf internationaler Bühne zu überzeugen wusste. "Here's my song, you can have it... I don't want it anymore / Yours 4-ever" hieß es damals ausführlich und mutig, im Angesicht seiner größer werdenden Popularität. Was folgte war Mucksmäuschenstille. Denkt man! Denn die Zeit des Wartens war gesäumt von harter Arbeit, nur hat sie hierzulande niemand wirklich mitbekommen. Zu Hause in Schweden, wo Dunger einem angelsächsisch eher desinteressiertem Publikum gerecht werden und ebenso seinen experimentellen Vorlieben frönen wollte, ging Album um Album über die Ladentische.
Ein ebenso imponierender wie respektabler Weg - den Erfolg außer Acht lassend, zielgerichtet zu den Wurzeln zurück, weg vom urbanen Lifestyle. Hätte Dunger doch alle guten Gründe gehabt, sich in den Auswüchsen des Zeitgeistes zu verlieren. Allein wegen "Soul rush", seiner ersten europaweit wahrgenommenen Veröffentlichung, die so stimmgewaltig, leidenschaftlich und ekstatisch über uns zog und bei nicht Wenigen Assoziationen an Van Morrison oder Tim Buckely weckte. Dann "Tranquil isolation", die überraschend spartanisch ausgelegte Kollaboration mit seinem Idol Will Oldham. Es erscheint nun wie eine Nachwirkung von verpassten Gelegenheiten, dass sich sein neues Album "Nicollide and the carmic retrebution" über alle Maßen in die Höhe schraubt. Ein brillierendes Orchester unterstützt den 38-jährigen Schweden bei seiner Arbeit. Mal in kleiner Besetzung, zurückhaltend und auf Unterordnung bedacht. Dann voll besetzt, aufbrausend und energiegeladen. So wie einst bei Scott Walker in seinen jungen Jahren, geht es hier um den Wunsch, ein ergreifendes Gesangsorgan ebenbürtigen Gegnern gegenüberzustellen.
Geschafft hat das "Nicollide and the carmic retrebution" nicht. Es ist das Orchester selbst, das nur Stück für Stück vorankommt. Das Handwerk ist meisterlich, doch die vorliegenden Notenblätter, von Dunger selbst verfasst, üben sich zu sehr darin, zu verwirren und in Sackgassen zu laufen. Jene vorgegebenen Spielarten, besonders im ersten Song "10th annaversary collide" zu hören, sind weit davon entfernt, mit einem avantgardistischen Schlüssel enträtselt zu werden. Sie stolpern, stehen auf, stolpern und finden den Weg nicht mehr. Dazwischen: Lichtblicke von zartester Schönheit. Nur reichen diese nicht aus, um den hohen Ansprüchen eines sinfonischen Orchesters gerecht zu werden. "Picking up the pieces" - am anderen Ende der Tracklist eines von vielen instrumentalen, eher soundtrackartigen Stücken - ist die fein arrangierte Antithese. Waldhörner, Oboe und Klarinette versammeln sich auf weiter Fläche und erinnern durch atmosphärische Keyboards an eine minimalistisch klingende Komposition von Claude Debussy oder Eric Satie.
So weiß Dunger vor allem dann zu gefallen, wenn der orchestrale Einsatz sich in Grenzen hält. Wie in "There's a room", einer zwar auf experimentellen Nebenstrecken laufenden, aber folkloristisch traditionell instruierten Gitarrenballade. Im Gesamten bleibt festzuhalten, dass sich "Nicollide and the carmic retrebution" mit jedem Track über die schwarze Grenze der Mittelmäßigkeit erhebt. Doch es finden sich zu viele Momente der Leere, die der Hörer nicht zu füllen weiß und denen selbst ein vollbesetztes Orchester nicht mehr helfen kann. Der Weg raus aus dem schwedischen Untergrund, rein ins weltweite Popgeschehen: nach wie vor eine Frage der Zeit für den eigentlich überaus talentierten Musiker. Sie sei ihm gegeben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Lifelong song
- There's a room
- Picking up the pieces
Tracklist
- 10th annaversary collide
- Been cheating
- Holy communion box
- Retribution
- Too free to be gone
- Our filmscore
- Wind serenade
- Children (Outro)
- Children gathering
- Lifelong song
- I love you only
- Our river scores
- There's a room
- Picking up the pieces
Referenzen
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