Elbow - The seldom seen kid

Fiction / Polydor / Universal
VÖ: 25.04.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Zeit zu verlieren

Zu den Dingen, die Gordon Brown und Benedikt XVI. gemeinsam haben, gehören nicht nur ein schicker Dienstwagen, die Handynummer von Bono und ihre jeweils überschätzten Amtsvorgänger. Beide stehen auch ganz hoch oben auf der Hassliste von Guy Garvey, der aber glücklicherweise immer noch genügend Geld als Elbow-Sänger verdient, um nicht unter die Auftragskiller gehen zu müssen. Ein harmloses Lunch mit dem Prime Minister soll es sein, es steht an zweiter Stelle in der To-Do-Rubrik seines Notizbuchs. Und auch die gewährte Audienz mit dem Papst hätte längst stattgefunden - wenn Garvey nicht doch Besseres zu tun hätte. Die Welt retten, Politiker rund machen und damit die Anliegen von Elbows letzter Platte "Leaders of the free world" fortführen? Immer noch wichtig, weiterhin unvergessen. Nur jetzt ist erst mal die Freundin dran, okay?

Garveys Liebeserklärungen auf "The seldom seen kid" sind vielleicht die rührseligsten in der britischen Popmusik, seit Badly Drawn Boy vor fünfeinhalb Jahren für seine Frau ein Date mit Madonna sausen ließ. Dazu passend ziehen sich Elbow mit ihrem vierten Album tief ins Private zurück, lassen jede Tagesaktualität links liegen und schreiben Songs über den jung verstorbenen Musiker und Freund Bryan Glancy, auf den auch der Plattentitel Bezug nimmt. Am Ende des Tages heften sich die Gemeinheiten eben doch wieder an die Fersen dieser Band, die es weiterhin versteht wie kaum eine andere, reales und fiktives Unglück in vieleckige, konsequent unmoderne, aus mehreren Blickwinkeln deut- und hörbare Rocksongs zu überführen. Man arrangiert sich halt mit seinem Schicksal, Elbow predigen das seit sieben Jahren über halbleere Bierflaschen hinweg.

"The seldom seen kid" muss sich allerdings zunächst eine gewisse Trägheit der Ereignisse vorwerfen lassen. Anfangs wirkt das Album seltsam undynamisch und gleichförmig; auch ihren guten Ruf als Innovationsforscher in Sound und Song scheinen Elbow mutwillig aufs Spiel zu setzen. Nur die sarkastische Single "Grounds for divorce", die sich gemeinsam mit einer stichelnden Fuzz-Gitarre erhebt, und der euphorische "Grace under pressure"-Nachfolger "One day like this", der sein Glück mit wuchtigen, klobigen Streichern erzwingt, schieben die Platte mit hörbarer Entschlossenheit an. Alles andere will Zeit, nimmt sich Zeit, kriegt Zeit. Eigentlich braucht "The seldom seen kid" nämlich nur etwas länger als seine Vorgänger, um sich zu entfalten.

Irgendwann zuckt man beim unvermittelten Orchesterdonnern des sonst sehr vorsichtig tastenden "Starlings" nicht mehr ganz so abrupt zusammen. Auch die einmal quer durch den Song schneidende Gitarre in "Bones of you" verträgt sich bald besser mit den Gospel-Anleihen des Stücks, die Elbow zu ihrer zweiten Platte "Cast of thousands" zurückführen. Kleine Verrücktheiten um Sound und Instrumente entlarven sich schließlich von selbst, legen immer wieder neue Folien über das Album und bringen eine Entwicklung zu Ende, die letztlich gar nicht anders zu erwarten war von einer Band im zwölften Dienstjahr. Elbow forcieren nichts mehr, lassen alles auf sich zukommen und dann von alleine passieren. Sie mögen sich eher seit- als vorwärts bewegen, verrichten aber eine Fingerspitzenarbeit, die kein Kranführer in hundert Metern Höhe filigraner hinbekäme. Typisch für diese Band übrigens, dass sie solch armen Seelen mitten in ihr Album ein Denkmal baut. Irgendwer muss die Einsamen schließlich im Blick behalten.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Starlings
  • Mirrorballs
  • Grounds for divorce
  • One day like this

Tracklist

  1. Starlings
  2. The bones of you
  3. Mirrorballs
  4. Grounds for divorce
  5. An audience with the pope
  6. Weather to fly
  7. The loneliness of a tower crane driver
  8. The fix
  9. Some riot
  10. One day like this
  11. Friend of ours
Gesamtspielzeit: 54:35 min

Im Forum kommentieren

Voyage 34

2018-10-30 20:49:31

Bin auch nie richtig reingekommen, aknn das also anchvollziehen. Finds wirklich nicht schlecht, aber der Funke will und will einfach nicht überspringen.

Watchful_Eye

2018-10-30 17:00:34

Natürlich ein gutes Album, aber diesen ganz großen Hype konnte ich da nie nachempfinden.

Werde bei Gelegenheit mal "Asleep in the back" ausprobieren, den Beschreibungen nach trifft das mehr meinen Geschmack :)

MopedTobias (Marvin)

2018-10-30 16:55:31

11/10

Ellen Bogen

2018-10-30 15:30:44

0/10

BibaButzemann

2018-10-30 15:19:47

10/10

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