Teitur - The singer
Arlo & Betty / EdelVÖ: 22.03.2008
The songwriter
Einbruch in Theater aufgeklärt: Der 30-jährige Musiker Teitur L. hat die Tat gestanden und als Motiv "künstlerische Weiterentwicklung" angegeben. "Er hatte alles minutiös geplant und sogar täuschend echt aussehende Programmhefte drucken lassen", sagte ein Polizeisprecher. Diese tauchten nun auch als Booklet seines vierten Albums "The singer" auf. Wie es dem gebürtigen Färöer allerdings gelang, nicht nur sich selbst Zugang zu dem Schauspielhaus zu verschaffen, sondern noch 25 weitere Akteure erfolgreich einzuschleusen, ist noch unklar. Ein Zeuge will in der Pause der "Hamlet"-Vorstellung beobachtet haben, wie der junge Mann am Sektausschank der Kellnerin C. zuprostete. Die Frau gab jedoch an, Teitur L. nicht zu kennen und noch nie zuvor gesehen zu haben. Den Zivilfahndern von Plattentests.de wurde zwischenzeitlich ein geheimes Protokoll der Tatnacht zugespielt:
Der Applaus ist verklungen, die Lachshäppchen sind verschlungen, und die an der Garderobe ausgesetzten Pelztiere längst wieder abgeholt. Stille und Dunkelheit verwandeln Hamlets Schlachtfeld in einen friedlichen Schlafsaal, doch plötzlich hebt sich der Vorhang: Eine Silhouette erscheint auf der Bühne und verkündet, etwas schüchtern zwar, aber merklich euphorisiert: "I always had the voice / And now I am a singer!" Die Stimme wird immer entschlossener und der Saal mit jedem Ton heller erleuchtet. Im Orchestergraben beginnt es zu rumoren - das Herz der Marimba pocht wie ein Metronom, wahrscheinlich ist sie gerade dran mit Schmierestehen. Erst nach der Hälfte des Stückes gesellt sich der Kontrabass hinzu; zeitgleich lassen zwei Chansonetten federleichte Harmoniegesänge von der Empore auf die Bühne gleiten. "I had never meant to be a singer / But I'm slowly getting used to the idea", singt die Silhouette. Sie heißt Teitur Lassen.
In den kommenden fünfzig Minuten wird Teiturs Stimme souverän die Hauptrolle spielen. Sie wird Geschichten erzählen, die sonst nur in Biergläser oder Kopfkissen gemurmelt werden, wird Kostümwechsel durch alle Farbnuancen zelebrieren und mit harmonischen Kapriolen die Grundmauern kitzeln, bis es Goldstaub von der Decke regnet. Jegliche Instrumentierung ist dabei nichts weiter als ein Requisit, eine unterstreichende Geste, ein Passepartout. Mag sein, dass man dem zurecht hochgelobten "Stay under the stars" schneller näher kam, aber dafür hinterlässt "The singer" eindeutig tiefere Spuren. Mit welch einer Würde und Wahrhaftigkeit Teitur in "Letter from Alex" einen echten Brief eines echten Freundes vertont, ist schon allein stehende Ovationen wert.
Sein Lieblingsthema ist jedoch nach wie vor die bittersüße Einsamkeit: Als Lonesome Cowboy reitet er in glühender Hitze tapfer gen Mexiko und besingt sogar noch kurz vor der Dehydrierung "The girl I don't know". Eine dramaturgische Meisterleistung, dass die darauffolgende Ballade "We still drink the same water" heißt. Die windschiefen, mittelalterlich anmutenden Bläser haben sich an der Schnapsidee betrunken, eine Statistenrolle in Carl Orffs "Carmina burana" zu kriegen, während Glockenspiel, Vibraphon, Klarinette und Gitarre sich elegant die Bälle zuwerfen. Ein nicht minder harmonisches Zusammenspiel im Songwriter-Team mit Nik "The riddle" Kershaw hätte man indes nicht erwartet: "Start wasting my time" wird von einem erhebenden Euphonium-Solo eröffnet und verwandelt sich schließlich in eine köstliche Vaudeville-Nummer. Die reduzierten, auffällig perkussiven Arrangements entwickeln eine filigrane Eindringlichkeit, die durchaus kathartische Qualitäten besitzt. Aristoteles wäre begeistert.
"Theater wird erst wirklich, wenn das Publikum innerlich mitspielt", behauptete mal ein schlauer Mensch. Und das passiert bei Teitur ganz schnell: Man leidet mit ihm, wenn "Catherine the waitress" ihn einfach nicht wahrnimmt und empfindet sogar einen Hauch von Fremdstolz, wenn er trotzdem noch den Nerv hat, das Beste daraus zu machen - nämlich ein schwanzwedelndes Rock'n'Roll-Kunststückchen mit ganz viel "Uh huh huh". Man gruselt sich im düsteren Rezitativ "Murder by association", zuckt bei der unerhört pulsierenden Percussion von "Don't let me fall in love with you!" beinahe zusammen, spürt den gnadenlos knarzenden Kontrabass von "You should have seen us" im Magen und ein erleichtertes Kribbeln, wenn klar wird, dass das eigentlich ein Gospel-Song ist. Und am Ende kann man es doch nicht fassen, dieses Album. Schon gar nicht in Worte. "Der Rest ist Schweigen", hieß es bei "Hamlet". Man möchte hinzufügen: "Und Genießen."
Highlights & Tracklist
Highlights
- The girl I don't know
- We still drink the same water
- Catherine the waitress
- Start wasting my time
Tracklist
- The singer
- Your great book
- The girl I don't know
- We still drink the same water
- Catherine the waitress
- Legendary afterparty
- Guilt by association
- Start wasting my time
- Letter from Alex
- Don't let me fall in love with you!
- You should have seen us
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Whatever
2008-09-08 18:10:58
12.Okt.2008 20:00
Rohre Stuttgart, DE
13.Okt.2008 20:00
Brotfabrik Frankfurt, DE
14.Okt.2008 20:00
E-werk Erlangen, DE
15.Okt.2008 20:00
Lido Berlin, DE
16.Okt.2008 20:00
Knust Hamburg, DE
17.Okt.2008 20:00
Lagerhaus Bremen, DE
22.Okt.2008 20:00
Rockhouse Bar Salzburg, AT
23.Okt.2008 20:00
Chelsea Vienna, AT
29.Okt.2008 20:00
Albani Winthertur, CH
30.Okt.2008 20:00
ISC Bern, CH
Thorsten
2008-03-16 13:30:25
hm nicht so mein Ding, bleib lieber bei Sufjan
gawainn
2008-03-16 12:03:59
super rezension zu einem der highlight-alben für dieses jahr bis jetzt!
Leatherface
2008-03-16 01:47:20
Oh ja, die MySpace-Sachen gefallen mir.
äffchen
2008-03-16 01:35:04
Yay, Album der Woche! Völlig verdient, wie ich finde. Hab schon sehr lange nicht mehr so ein geistreiches und erfrischendes Singer/Songwriter-Werk gehört. Das kann man in der Tat nur ganz schwer in Worte fassen, das muss man sich einfach anhören.
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