Eagle-Eye Cherry - Living in the present future
Superstudio / PolydorVÖ: 08.05.2000
Klein-Adlerauge blickt nach vorn
Eagle-Eye Cherry ist wirklich nicht zu beneiden. Zuerst lag die Last auf ihm, allen beweisen zu müssen, mehr als nur Sohn von Jazztrompeter Don und kleiner Bruder von Neneh Cherry zu sein. Kaum hatte er dies geschafft, galt es, den Ruf des One-Hit-Wonders abzulegen, um nicht ewig auf "Save tonight" reduziert zu werden. Letzteres gelang dem Mann mit dem klangvollen Namen zunächst nicht. Die damalige Nachfolgesingle "Falling in love again" unterschied sich in Instrumentierung und Harmoniefolge nicht wirklich vom ersten Hit. Auch das Debütalbum "Desireless" war zwar nett, machte aber nicht wunschlos glücklich und ließ weitere echte Kracher vermissen. Dennoch war offensichtlich, daß Eagle-Eye nicht nur ein außergewöhnlicher Name, sondern auch noch außergewöhnliches Talent und das Zeug zum Everybody's darling in die Wiege gelegt wurden.
Was macht diesen Künstlersproß denn nun so außergewöhnlich? Sein eigenwilliges Hairstyling hat Eagle-Eye beibehalten. Ebenso kann er nach wie vor allein mit seiner markanten Stimme so schön gniedeln wie Carlos Santana mit zwei Klampfen auf einmal. Auf "Living in the present future" soll nun ein recht philosophischer Albumtitel den Ton angeben: Eagle-Eye Cherry lebt in der heutigen Zukunft, wildert in der Vergangenheit und bleibt doch derselbe. Die Zeit läuft rückwärts, die Zukunft ist auf Rosen gebettet und morgen wird wie heute sein. Nichts kapiert? Macht nichts! Die Eingängigkeit der Musik macht den rätselhaften Titel schnell wieder wett.
So ist auch Eagle-Eyes Zweitling wieder nicht ganz frei von merklichen Selbstplagiaten. Die nichtsdestotrotz gelungene Single "Are you still having fun?" klingt nicht weniger nach einer dritten Auflage von "Save tonight" wie das später folgende "Burning up". Jener Song ist zudem mit einer gehörigen Prise Matchbox Twenty versetzt und besitzt von allen Stücken das mit Sicherheit größte Hitpotential. Gefällig ist auch "Long way around", das lang erwartete Duett mit Schwester Neneh, ausgefallen. Aus dessen Anlaß geizt der höfliche Eagle nicht mit Lobhudeleien: "Sie ist einfach die großartigste Person. Ich wollte immer mit ihr zusammen aufnehmen und dachte mir, wenn ich es jetzt mache, werden endlich alle aufhören zu fragen, wann wir es endlich tun wurden." Der Liebling aller Schwiegermütter und heimlicher Favorit aller Rolling-Stone-Leser hat gesprochen. Die große Schwester darf auf "Long way around" das eher aus anderen Stilrichtungen geläufige "Come on, y'all. Aha. Oh yeah" ins Singer-Songwriter-Genre entführen und hält sich sonst eher im Hintergrund.
Egal, ob der introvertierte Singer-Songwriter auf "Living in the present future" uns nun leicht angefunkt, bluesig oder einfach nur puristisch daherkommt, der Verzerrer wird im Schrank gelassen, stattdessen lieber der Unplugged-Barhocker zurechtgerückt und die Akustische liebevoll und intensiv gequält. Der vom Vater geerbte Blues weicht zwar des öfteren Frohsinn und Zuversicht, folgt aber überwiegend Eagle-Eyes Blick auf dem stimmigen Coverfoto: zwei nachdenklich spähende Adleraugen lugen aus einer Horde Kakteen hervor. Seiner Musik hätte allerdings der eine oder andere Stachel mehr nicht geschadet. Diese konnte auch Starproduzent Rick Rubin, der schon den Chilibohnen auf "Californication" zu mehr Schärfe verhalf, nicht herbeizaubern. Dennoch bleibt "Living in a present future" ein sympathisches Album von einem nicht minder sympathischen Künstler. Cherry wäre möglicherweise zu noch mehr fähig, übt sich aber statt in Arroganz und Größenwahn in bei Musikern selten gekannter und überaus angenehmer Zurückhaltung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Are you still having fun?
- Burning up
- Lonely days (Miles away)
Tracklist
- Been here once before
- Are you still having fun?
- One good reason
- Promises made
- Burning up
- Together
- Long way around
- Lonely days (Miles away)
- First to fall
- Miss Fortune
- She didn't believe
- Shades of gray
Referenzen
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