Marah - Angels of destruction!
Munich / IndigoVÖ: 25.01.2008
Himmel hilf!
David Bielanko war so richtig unten. Mit dem Flaschenzug entgleist. Aber der Marah-Sänger reflektierte rechtzeitig die Konsequenzen seiner Sucht im Promillespiegel, machte eine Entziehungskur - und wurde stattdessen zum Workaholic. Nicht weniger als 35 Songs waren am Ende der "Angels of destruction!"-Sessions fertig; erschaffen, um die Falltüren und Geheimgänge zwischen Himmel und Hölle zu beleuchten. Für immerhin elf dieser Stücke fand sich ein Plätzchen auf dem sechsten Studioalbum der amerikanischen Band, die Nick Hornby bereits vor Jahren zur besten der Welt erklärte. Das ist natürlich nach wie vor maßlos übertrieben. Marah machen schließlich eigentlich nichts weiter, als beinahe spießigen American Rock liebevoll aufzubügeln und mit ein paar sorgfältig ausgewählten Accessoires zu kombinieren. Springsteen mit Einstecktuch.
Es ist ein schmaler Grat zwischen Klischee und Ironie, "Coughing up blood" verliert einige Male das Gleichgewicht: zum Beispiel wenn eine unschuldige Kinderstimme schon nach ein paar Sekunden "Go back to the devil!" flötet, Bob Dylan, Johnny Cash und die Stones zitiert werden, ein mürrischer Männerchor mit Rhythmusarbeit betraut wird und sich dann auch noch ein unrasiertes Gitarrensolo mit einer manischen Mundharmonika duelliert. Dass "Old time tickin' away" unverblümt den Exzess sucht und sich mit einer seltsamen Entschlossenheit und bis zum Anschlag aufgedrehtem Verstärker in jede sich bietende Kurve wirft, hat auch seinen Vorteil: Die nachfolgenden Stücke werden aus Konditionsgründen glücklicherweise wesentlich ruhiger, durchdachter und melodiöser angegangen. Nur der Rausschmeißer "Wilderness" verstrickt sich noch einmal heftig in einem überambitionierten Jam-Gelage, das schließlich von einem beherzten Dudelsack aufgelöst wird.
Ab Song Nummer drei macht "Angels of destruction!" dann aber tatsächlich sehr viel Freude: "Angels on a passing train" folkrockt ebenso gemächlich wie tadellos, legt noch einen Elvis-Costello-Refrain drauf und zaubert zur Krönung einen kuriosen Tango-Mittelteil aus dem Hut. Die Gitarre zeigt sich im "Wild west love song" in allerbester Boogie-Stimmung, "Blue but cool" unternimmt mit Marah-Neuzugang Christine Smith am Piano einen pulsierend balladesken Ausflug in die softrockenden Seventies, und "Jesus in the temple" reist mit folkiger Akustikgitarre und Beatles-Harmonien sogar noch ein Jahrzehnt weiter zurück. Mit seinem sonnigen Akkordeon und den ausgelassenen "Lalala"-Chören ist "Santos de Madera" wohl so was wie der heitere, radiokompatible Hit der Platte. Auch wenn das noch niemand mitbekommen hat. Aber Nick Hornby wird schon noch Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Zumal es David Bielanko wirklich zu gönnen wäre, mal so richtig oben zu sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Blue but cool
- Jesus in the temple
- Santos de Madera
Tracklist
- Coughing up blood
- Old time tickin' away
- Angels on a passing train
- Wild west love song
- Blue but cool
- Jesus in the temple
- Santos de Madera
- Songbirdz
- Angels of destruction!
- Can't take it with you...
- Wilderness
Referenzen
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