Marissa Nadler - Songs III: Bird on the water
Kemado / Peacefrog / Rough TradeVÖ: 23.03.2007
Das Sein und das Nichts
In einem Punkt ist Marissa Nadler nicht anders als andere Songwriter: Sie lebt von und mit ihren Liedern, ist genauso Erzählerin davon wie Teilnehmerin daran und selten um klare Trennlinien zwischen den Blickwinkeln bemüht. Nadler ist aber auch außerordentlich gut darin, völlig fremde Perspektiven an- und die Lieder anderer Künstler neu aufzunehmen - letztes Jahr machte sie beim "OK computer"-Coveralbum "OK X" mit und spielte eine so gute Version von "No surprises" ein, dass es fast ein bisschen peinlich für Radiohead wurde - und für die anderen Mitwirkenden erst recht. Wer Nadlers eigene Platte "Songs III: Bird on the water" kauft und online die vier Bonus-Tracks abgreift, kann außerdem dabei zuhören, wie sie sämtliche Gitarrensoli aus Neil Youngs "Cortez the killer" ausradiert. Und danach spätestens sollte klar sein: Hier ist jemand unbezahlbar.
Nadler zeigt auf sehr selbstverständliche Weise, dass man einen fremden Song nicht respektlos anfassen oder radikal umbauen muss, um ein gutes Cover daraus zu machen. Es reicht offenbar schon, sich seine Vorlagen angemessen größenwahnsinnig auszusuchen und sie dann mit einer Furchtlosigkeit umzusetzen, die ohnehin bezeichnend ist für "Bird on the water". Meistens hat Nadler nur ihre Akustikgitarre und vielleicht mal einen unterbeschäftigten Schlagzeuger im Rücken. Vom ersten Moment an aber, in dem sie ihre körperlose Stimme und damit auch das Album um einige Zentimeter erhebt, wird man das Gefühl nicht mehr los, dass diese Frau wirklich alles singen kann. Also auch Leonard Cohens "Famous blue raincoat", zum Beispiel, das hier mit beschleunigter Gitarre, gedoppelten Vocals und einem Geister-Synthesizer von Co-Produzent Greg Weeks (Espers) in sein völliges Gegenteil umgekrempelt wird.
Natürlich spart Nadler das "Sincerely, L. Cohen" am Ende des Originals aus. Ihr hektisches bis nervöses Folk-Picking, der geduldig ausbalancierte Einsatz weniger Begleitinstrumente und nicht zuletzt ihr beinharter Existenzialismus rücken sie aber doch immer wieder an den spät berufenen Meister der Dunkelheit heran. Cohens beste Platte heißt "Songs of love and hate", Nadlers Debütalbum "Ballads of living and dying", und eigentlich braucht man auch nur diese vier Schlagworte, um den Themenpark von "Bird on the water" einzuzäunen. Menschen sterben auf dieser Platte, sie lieben und verlassen einander, vögeln sich durch fremde Betten und treffen sich im Bauch eines Wals wieder, der alle verschluckt, die einmal zu oft gesündigt haben. Nadler singt das als Schutzengel und Jäger der Betroffenen - es bleibt bis zum Ende offen, ob man sich vor der klaren Kraft ihrer Stimme hinknien oder fürchten soll.
Versöhnlich sind nur die Songs selber, die vage in Richtung einer zaghaften Zuversicht deuten, aber in dieser Hinsicht nur selten mit Nadlers bitteren Texten vereinbar sind. "Diamond heart" verstreut die Asche toter Väter im Schnee, bevor es sich mit Mandoline in einen erstaunlich gelösten Refrain über die Freude am Vermissen verabschiedet. Das sehnsüchtige "Silvia" wird an der Hand seiner "Hey, hey, hey"s zum spielerischsten Song der Platte, aber auch das ist nur ein Luftloch, natürlich, bevor sich "Bird on your grave" einer dieser nadelstechenden E-Gitarren gegenüber sieht, die auch bei Espers hinter jeder zweiten Strophe stehen. Es mag lichte Momente auf "Bird on the water" geben, aber letztlich ist da auch kein Vertun: Niemand kommt lebend aus dieser Platte heraus. Und selbst wer nur von außen zuhört, wird bleibende Verletzungen davontragen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Diamond heart
- Silvia
- Bird on your grave
Tracklist
- Diamond heart
- Dying breed
- Mexican summer
- Thinking of you
- Silvia
- Bird on your grave
- Rachel
- Feathers
- Famous blue raincoat
- My love and I
- Leather made shoes
Im Forum kommentieren
Two-Headed Boy
2009-07-11 01:52:21
10/10 - Mehr gibts da gar nicht zu sagen...
LostInACity
2008-06-05 00:01:46
Das Album wird mit jedem Hören besser. und plötzlich glaubt man, alles zu verstehen. umwerfend!
rothausmaler
2008-03-29 19:01:32
ich fand den pianisten ganz schrecklich, ganz ganz schrecklich. immer nur dasselbe thema durchgeknüppelt und dazu noch dieses affige zeuch aus'm klavier kramen und auf den boden schmeißen. ach wie künstlerisch!
marissa fand ich dafür super. war schon recht kurz, kam mir gefühlt aber länger vor. in guter weise. hab sie heute auch noch mal bei dem instore-konzert in krefeld gesehen und das war so ganz ohne mikro etc. mindestens genauso gelungen.
hermit
2008-03-29 18:47:41
War leider nicht so super, wie es hätte sein können gestern in Dortmund. Atmosphärisch natürlich ganz groß durch den besonderen Schauplatz, aber technisch wäre da viel mehr drin gewesen. Oft war die Gitarre zu leise und die Stimme zu laut und auch insgesamt hätte man sich mehr Mitmusiker gewünscht, weil Marissa alleine mit ihrem recht simplen Gitarrenpicking einen nicht so recht in den Bann ziehen wollte.
Die Spielzeit von nur 45 Minuten (!) tat da ihr übriges.
Der Support hat ihr schon die Show gestohlen, muss man ehrlich sagen. Dieser Pianist war echt ganz groß, konnte den Schauplatz Kirche besser ausnutzen. Leider ist mir der Name entfallen. ;) Hat übrigens mit 60 Minuten deutlich länger gespielt als Frau Nadler.
Whatever
2008-03-29 18:16:24
March 31st, 2008: El Lokal- Zurich, Switzerland
April 1st, 2008: L'Usine - Geneva, Switzerland
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