Ólafur Arnalds - Eulogy for evolution
Progression / SoulfoodVÖ: 12.10.2007
Das Schweigen im Walde
Flirrende Breaks im Höllentempo, muskulöses Verdreschen des scheppernden China-Beckens, halsbrecherische Tempowechsel, und Snare- und Doublebass-Gewitter sind womöglich das, was man auf dem ersten Solo-Album eines Hardcore-Drummers erwarten würde. Womöglich auch polyrhythmische Kapriolen, verquere Taktverschiebungen, virtuoses Vielarm-Gewirbel. Pustekuchen. Zumindest mit Blick auf Ólafur Arnalds aus Mosfellsbaer, einem winzigen Städtchen fünfzehn Kilometer vor den Toren von Reykjavik. Der blutjunge Isländer drischt unter anderem für die Metalcore-Combos Fighting Shit und Celestine in die Felle und gibt mit "Eulogy for evolution" sein Solo-Debüt. Doch lange ist der Bollerwagen überkommener Klischeevorstellungen nicht mehr so schön in den Schlamm gerutscht wie hier. Arnalds hat vielmehr eins der bedrückendsten und stillsten Alben seit Langem aufgenommen. Ein Nachtstück. Jenseits von vielem schwelgt es in geruhsam fließendem Schönklang und kammermusikalischer Intimität. Eine traumtrunkene, schwebende Suite - gewissermaßen für ein Klavierquintett, tief in klassischer Musik verwurzelt, fernab von glutbefeuerten Rock-Kaskaden. Lärm kennt sie fast nur vom Hörensagen, auch Gesang und Songtitel sind ihr fremd.
Sanft aus dem pianissimo schwellende, spätromantische Töne eines Streichquartetts eröffnen den Reigen, gleiten durch zarte Modulationen, ehe das Klavier fast zögerlich ins Klangbild tritt, allein, und zu sachte geschlagenen Akkorden das erste Thema perlen lässt. Nahe dem Ruhepol wandert der Klaviersatz weiter, die Motive zerfasern, werden fortgesponnen, mal mit gebrochenen Akkorden, mal nur mit einzelnen Haltetönen unterlegt. Wenig passiert. Immer wieder scheinen Momente still zu stehen, inne zu halten. Nur das Klavier, der Hall, der weite Raum. Unaufgeregt, minimalistisch, meditativ, zerbrechlich. Sporadisch umschmeichelt das Streichquartett das sparsame Pianospiel mit sanft gestrichenen Akkorden. Im zweiten Satz ("00:48/07:29") schleicht sich eine dünne Melodika hinein. Neue Melodiebögen entspinnen sich, zerfasern, finden sich wieder, und ganz allmählich wird der Satz dichter und opulenter. Gewissermaßen ist das gesamte Album ein schleichendes Crescendo, über weit mehr als halbe Stunde. Akkordfolgen wiegen hin und her, entwickeln sich kaum merklich weiter, lullen das Hirn in träumerische Trance ein. Es schwillt an, nimmt sich wieder ein Stück zurück, biegt in neue Richtungen, lässt neue Motive und Melodien hervortreten, die sich verpuppen und verdichten, abflauen, verlangsamen, um dann mit umso mehr Nachdruck fahrt aufzunehmen.
Dramaturgisch geschickt spinnt Arnalds die Fäden. Erst lose, dann immer enger, immer dichter. Fast unmerklich steigt der Puls. Schon der fünfte Satz ("19:53") setzt am Ende zu einem ausufernden Streicher-Crescendo an, der sechste ("30:55") plätschert erst melodieselig dahin, ehe Arnalds allmählich das Gaspedal tritt, der Druck steigt und sich auch das Schlagzeug dezent einmischt, immer forscher werdend, und das Stück dynamisch bis an seinen Höhepunkt treibt. Auch Bass und verzerrte Gitarren mischen sich subtil ein. Nie muskelprotzig, immer im Dienste des dramaturgischen Spannungsbogens.
Nach dem von schroff gezupften und gestrichenen Streicherakkorden gezeichneten siebten Satz lässt Arnalds erst ganz am Ende des letzten Stücks seine musikalische Herkunft wirklich durchblicken. Einmal mehr bäumt sich das musikalische Geschehen aus ruhigem Fluss auf und zersplittert kurzzeitig in wüst krachenden Gitarrenwänden und preschendem Schlagzeug-Geballer, ehe fast augenzwinkernd die Gitarrenspur demontiert wird (man glaubt beinahe, die CD hätte einen Sprung) und sich in weich gleitende Orgel-Akkorde auflöst. Sie führen das Album zurück in die Stille, aus der es gekommen ist. Arnalds, der schon für die orchestrale Einleitung und den Schluss des Hardcore-Brechers "Antigone" von Heaven Shall Burn verantwortlich war, hat mit diesem Album ein stilles, minimalistisches Kleinod geschaffen. Voller Schönklang, fast beiläufig und doch hintersinnig, ist "Eulogy for evolution" eine Ausnahmeerscheinung im derzeitigen Rock- und Indie-Zirkus, sofern man es hinzurechnet. Geruhsamer Balsam für die Seele. Ein aufregender, stiller und immer intensiver werdender Traum.
Highlights & Tracklist
Highlights
- 19:53
- 30:55
- 37:04/38:37
Tracklist
- 00:40
- 00:48/07:29
- 09:52
- 14:40
- 19:53
- 30:55
- 33:26
- 37:04/38:37
Im Forum kommentieren
Gomes21
2017-06-29 12:25:30
Immernoch ein tolles Album. Bin gepannt wie das klingt.
Felix H
2017-06-29 12:08:48
Interessant!
Jennifer
2017-06-29 12:00:02- Newsbeitrag
Der isländische Komponist Ólafur Arnalds haucht seinem Debütalbum zum 10-jährigen Jubiläum neues Leben ein. Die neu gemischte und von Nils Frahm gemasterte Version Eulogy For Evolution 2017 erscheint am 25. August weltweit über Erased Tapes.
Ólafurs 30. Geburtstag folgend, beschloss Labelgründer Robert Raths diesem kleinen Meilenstein von 2007 eine Chance zu schenken, in neuer Schönheit zu glänzen.
Eulogy For Evolution ist eine Reise von der Geburt bis zum Tod und transportiert den Hörer somit durch das Leben selbst. Ólafur schrieb das Album als er noch ein Teenager war. Mit Hilfe von Freunden hat er nun dem Album zu neuem Glanz verholfen — eigenständig gemischt und neu gemastert von Nils Frahm. Das Cover Artwork wurde ebenfalls von Torsten Posselt, Teil des Berliner Designstudios FELD, neu gestaltet und erweitert. Hierfür nutzte er Fotografien, die Stuart Bailes während einer Rundreise durch Ólafurs Heimat Island in 2007 eingefangen hatte.
Um das Album in der Gegenwart zu erleben, ist nicht nur der Blick in die Vergangenheit wichtig, sondern auch ein Verständnis für die pure Zeitlosigkeit und Relevanz, die diesen Kompositionen inne wohnt und den Ehrgeiz deutlich macht, mit dem Ólafur seit dem ersten Tag gearbeitet hat.
„Spuhl 10 Jahre vor, unsere Beziehung und unsere Erfahrung mit Klang mögen gereift sein, doch du kannst nach wie vor diese Dringlichkeit in Ólis Songs hören, die meine Ohren von Anfang an gefesselt hat“, sagt Robert Raths.
In den Worten von Ólafur, Juni 2017:
„Ich habe einige Wochen in einer Art Zeitmaschine verbracht, als ich 12 Jahre alte Aufnahmen öffnete und bearbeitete. Es gab Störgeräusche in den Mikrofonen, einige Kanäle schienen aus Versehen ausgeschaltet zu sein, doch ab und an musste ich meinem Teenager-Ich Tribut zollen wozu es damals fähig war. Es war irgendwie charmant; zumindest größtenteils. Also korrigierte ich nur die Dinge, die es nötig hatten, und schickte alles zu Nils Frahm fürs Mastering.
Es war ein durchaus ambitioniertes Debüt. Als ich 18 war starb mein Onkel an Krebs. Es war das erste Mal, das jemand starb, der mir nahe stand, und so widmete ich ihm meine Arbeit. Ungefähr zur gleichen Zeit kam sein erstes Enkelkind zur Welt und wurde nach ihm benannt. Ich war inspiriert durch die Freude und die positive Energie, die er mit sich brachte und sah, dass das Leben in gewisser Weise über unseren Tod hinaus weitergeht. Also wollte ich Musik schreiben, die uns durch den Kreislauf des Lebens trägt.
Diese Arbeit eines hoch emotionalen Teenagers wurde nun neu belebt, ist gereift und — ich hoffe da stimmen mir alle zu — wurde von einigen meiner liebsten Menschen auf dieser Welt verbessert. Ich bin dankbar dafür, dass es nochmals die Chance bekommt zu glänzen, und ich hoffe ihr genießt diese Reise in die Vergangenheit.”
TRACK LISTING
1. 0040
2. 0048 / 0792
3. 0952
4. 1440
5. 1953
6. 3055
7. 3326
8. 3704 / 3837
„Eulogy for Evolution 2017“ wird am 25. August als LP, CD und digital erscheinen - zusätzlich gibt es eine limitierte Clear-Vinyl Version. Fans können das Album bereits hier vorbestellen.
vid
2010-01-02 14:32:12
itunes.apple.com/WebObjects/MZStore.woa/wa/viewVideo?id=333573686&s=143444&uo=6
kds77
2009-08-31 17:31:59
Olafur spielt am 26.09. auf dem Reeperbahn Festival in Hamburg.
http://www.reeperbahnfestival.com/kuenstler.php?lang=de&art_id=115&page_id=0
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