Gravenhurst - The western lands
Warp / Rough TradeVÖ: 07.09.2007
Neue Ufer
Im Nebel stehend wartet die weitläufige Effekthascherei auf ihren gitarrenzersetzenden Zusammenbruch. Der "Song among the pine" suggeriert Missverständliches. Das einleitende Unnahbare macht Platz für Klarheit, nicht die energiegeladene Verschwommenheit eines "Fires in distant buildings". Der synthetische Schellenkranz, ein auf Individualität bedachtes Trommelwerk und drei einzelne Saiten der akustischen Gitarre verschmelzen zu einem melancholischen Mantra, das sich in seiner schlichten Schönheit doch als bewusstseinserweiterndes Pharmakon erweist. Nick Talbots Stimme klingt auf "The western lands" immer noch so, wie die eines unschuldigen, geheimnisvollen Jünglings in einem keltisch-gotischen Kirchenchor aus dem nördlichen England. Traditionen spielen in seinem Leben wieder eine Rolle. Die meterhohe und schwarzverzierte Wall of Sound bröckelt zwar nur in Ansätzen, aber sie bröckelt.
Auf "The western lands" blitzen Gedanken auf, die zwischenzeitlich im Hintergrund Platz genommen hatten. Gedanken an den Mann, der vor vier Jahren mit seinem eigens produzierten und eingespielten Debüt "Flashlight seasons" eine perfekte Symbiose aus sentimentaler, psychedelischer Songwriterkunst und skizzenhaft eingestreutem, elektronisch Unförmigem erstellt hatte - ohne den Blick auf die Wurzeln aus britischem Folk zu scheuen. Mit einer poetischen Begabung, die sich unlöschbar ins Gedächtnis fräset und ihn ohne Zweifel aus einem unschönen Sud an scheinintellektuellen Schöngeistern hob: "After the cold night / The raindrops that frost / Melt into the thin air / Like the footsteps of ghosts." Gravenhurst waren geboren. Nach der nicht minder grandiosen Mini-LP und weiteren Soloarbeit "Black holes in the sand", fand sich der Hörer mit "Fires in distant buildings" plötzlich umringt von einem Bandkonstrukt, das all seine Qualitäten und Möglichkeiten vollends und überreizt ausschöpfte. Eine wütende Platte. Ein Schnitt in der Diskographie.
Die Gemüter haben sich auch mit "The western lands" nicht beruhigt. Talbot ist weiterhin ein getriebener Geist, der sich in all seinem Ungemach über Gesellschaft und innere Prozesse einer zornigen Grundhaltung bedient. Nur dieses Mal strategisch anders: Weniger erschöpfend, mehr ausgedehnt, feinsinnig und hintergründig. Ein paar entgegenlaufende Ausreißer, wie das ungewöhnlich grobe und mit platten Dekonstruktionsbemühungen versehene "Hollow men", lenken nur den Blick ab von der neugefundenen Introspektion, die Talbot und seine drei Mitstreiter auszeichnet.
Neben dem gedankenverlorenen Folk von "Song among the pine" und dem schwülstigen, mit Shoegaze-Elementen aufgebauschten Fairport-Convention-Cover "Farewell, farewell", ist "The western lands" eine schwer einzugrenzende Jamsession, die mit lang gezogenen, minimalistischen, instrumentalen Passagen aufwartet, wie sie im Titelsong und dem mit fulminanten Umschwung versehenen "Grand Union Canal" zu hören sind. Eine geradlinige und direkte Jamsession der Entrückten, eine bewusste Rhythmuswiederholung, die ihren inneren Aggressor und die bösen Geister durch Beständigkeit im feingeistigen Spiel verarbeitet. Episch und karg in einem. Auch wenn frühere Sentimentalitäten aus den Erinnerungen steigen, ist Gravenhursts viertes Album einen Schritt weiter gegangen: Durch Integration von Folk- und Blues-Traditionen in ihren konsequenten Gitarrenbausatz und Bündelung von aufwühlenden, beizeiten vernichtenden Emotionen schaffen sie eine eindrucksvolle Subtilität. Und definieren damit ihre Rockmusik neu. Ein Prozess, dem man auf "The western lands" beiwohnen kann. Der Grundstein für ein kommendes Meisterwerk ist gelegt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- She dances
- Song among the pine
- Grand Union Canal
Tracklist
- Saints
- She dances
- Hollow men
- Song among the pine
- Trust
- The western lands
- Farewell, farewell
- Hourglass
- Grand Union Canal
- The collector
Im Forum kommentieren
buzzcock
2011-05-18 22:16:29
hat jemand eine ahnung wann ein neues album erscheint? wird ja langsam mal wieder zeit...
toolshed
2009-08-15 05:36:49
Fürwahr!
Whatever
2009-08-06 06:26:23
Flashlight Seasons 9/10
Fires In Distant Buildings 8.5/10
The Western Lands 7/10
Ich mag das neue Album eigentlich ganz gerne, aber die ersten 2 bevorzuge ich schon stark gegenüber TWL.
@toolshed: Wie aus meiner Wertung ersichtlich kann ich dir FS wärmstens empfehlen. Ist minimalistischer und meiner Meinung nach noch ein bisschen kälter und noch melancholischer als der Rest.
toolshed
2009-08-06 02:18:28
In letzter Zeit wieder öfter rausgekramt, hat absolut nichts von seiner Magie verloren.
'Fires in distant buildings' 9/10
'The western lands' 8/10
'Flashlight Seasons' kenn ich noch gar nicht.
Neues Album wäre auch nicht schlecht.. :/
rainy april day
2009-03-18 23:29:48
In letzter Zeit wieder öfter rausgekramt, hat absolut nichts von seiner Magie verloren. Eine der am meisten unterschätzten Platten 2007. Wie groß "Grand Union Canal" gerade ist.
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