M.I.A. - Kala
XL / Beggars / IndigoVÖ: 24.08.2007
Tupperparty
Es kann nie gut gehen, wenn man sich als Einzelkämpfer mit der Geschichtsschreibung anlegt. Was einmal notiert wurde, ist die Wahrheit, und wer trotzdem noch weitermotzt ein Korinthenkacker. Natürlich unbeeindruckt davon: M.I.A., die Ein-Frau-Armee aus London via Indien via Sri Lanka, die sich vor zweieinhalb Jahren ihr Debütalbum "Arular" auf den Trödelmärkten der Weltmusik zusammenfeilschte und dann mit ansehen musste, wie die Kudos an ihren Produzenten und Ex-Freund Diplo gingen. M.I.A. nahm diese historische Ungenauigkeit neulich zum Anlass, dem Musikjournalismus in einem Pitchfork-Interview flächendeckende Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, und obwohl der ganze Ärger nur bedingt mit ihrer neuen Platte zu tun hat, gibt er doch auch den Ton für "Kala" vor. Es wird weiterhin gebellt und gebissen, gestänkert und gekratzt: The miseducation of Maya Nahasapeemapetilon - jetzt sogar noch gemeiner.
Waren auf "Arular" die Ideen noch besser als ihre Ausführung, ist "Kala" nun der in jeder Hinsicht und aller Konsequenz verbesserte Nachfolger, mit dem sich die Finanzämter und Parlamentsgebäude dieser Welt praktisch von alleine anzünden. Politisch immer schön zwei Schritte links neben der linken Spur, musikalisch weiterhin mit der Nase in jeder zweiten Mülltonne. Aber auch: gebündelter, präziser, ohne Skit-Aufblähung und immun gegen jede Effekthascherei. Wenn M.I.A. zum dröhnenden Kopfschmerz-Beat von "20 dollar" das alte Pixies-Kampfschwein "Where is my mind?" ausweidet, staunt man nicht über den skurrilen Einfall, sondern die furchtlose Umsetzung. Und wenn in "Mango pickle down river" die Kids des Willcania Mobs strophenlang zu ihrem eigenen Didgeridoo rappen, verkriecht sich die sonst so laute Zeremonienmeisterin pflichtbewusst hinter den Track. Kein falscher Stolz auf "Kala", keine Sekunde Eitelkeit.
Dem Block-Party-Aspekt des Albums tut das ausgesprochen gut; man hätte auch ohne die allzu offensichtliche Entsprechung der Musik im farbenfröhlichen Epileptiker-Artwork verstanden, dass "Kala" keine Rumsteher- und Stillsitzer-Platte ist. "Bamboo banga" bringt die Sache mit viel beschäftigtem Drumcomputer und Rennauto-Sample auf den Weg, "Birdflu" überrennt das Safri Duo auf offener Straße, und der Bollywood-Klumpatsch aus "Jimmy" taktet solange an seinen ABBA-Geigen herum, bis man nur noch mit dem Stück um die Wette kichern kann. M.I.A. hält sich lieber an solche Streiche, als an alte Klischees oder die Schwergewichte des nordamerikanischen HipHops. Der müde Ausnahmetrack "Come around" mit Timbaland als Gastrapper und Produzent scheint da als mahnende Erinnerung ans Plattenende gerutscht zu sein.
M.I.A.s zweites Album als Universalfiesta zu verstehen, würde indes zu kurz greifen. Während "Arular" noch nach ihrem Vater benannt war und dessen Freiheitskämpfe im bürgerkriegsgeplagten Sri Lanka der achtziger Jahre thematisierte, heißt "Kala" nun wie M.I.A.s Mutter, die zur gleichen Zeit mit den Kindern auf der Flucht war und in Großbritannien ein "Zuhause" fand, das man bis heute besser in Anführungszeichen setzt. Der Liegestuhl-Sarkasmus von "Paper planes" oder das Tribal-Donnerwetter "Hussel" sind Immigrantenberichte aus dem Königreich, die sich auch Kele Okereke ins Tagebuch schreiben würde - letzterer Track lässt darüber hinaus den "illegalen Einwanderer" Afrikan Boy zu Wort kommen. Er ist ein Heißsporn, trägt sein Schicksal aber mit schwarzem Humor und fügt sich deshalb sehr gut ein auf dem höchstens vordergründig radikalen "Kala".
Selbst nach den schmutzigsten Schlachten, und sogar wenn einem die Midi-Fanfaren aus "XR2" längst den letzten gesunden Nerv entzündet haben, reicht diese Platte noch die Hand zur Verbrüderung. M.I.A. ist hier genauso Gleichmacher wie Grenzenzieher und liefert zum spitzen Ellbogen immer auch die Schulter mit, an der man sich ausheulen darf. Gerne spricht und singt sie von jener vereinten "World town", die sie sich hier mit 64 Millionen Farben ausmalt. Und während andere das noch naiv nennen, bringt "Kala" seine Schöpferin schon mal irgendwo zwischen Jane Rambo und der schönsten Weinkönigin des globalen Dorfs in Position.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Boyz
- Hussel
- 20 dollar
- Paper planes
Tracklist
- Bamboo banga
- Birdflu
- Boyz
- Jimmy
- Hussel (feat. Afrikan Boy)
- Mango pickle down river (with The Wilcannia Mob)
- 20 dollar
- World town
- The turn
- XR2
- Paper planes
- Come around (feat. Timbaland)
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Streuner
2024-09-25 17:00:43
Aua, aua ;)
Da bleib ich lieber bei meiner preisgünstigeren Alufolie!
Enrico Palazzo
2024-09-24 22:26:07
Tjoa, noch eine durchgeschallerte mehr. Nichts, was ich noch persönlich nehmen möchte. Dafür ist mir meine mentale Gesundheit zu wichtig und mir MIA zu unwichtig.
Klaus
2024-09-24 22:21:54
@enrico
Leider nicht. So lustig wir das finden (isses auch), desto krasser sind/waren ihre Kommentare zu jeglichen Impfungen.
Vennart
2024-09-24 21:54:47
Ich komme gerade nicht mehr drauf klar, “Brain Protection Durag“ LOOOOL :D
Bin gerade ernsthaft am Überlegen, ob ich mir das Ohm Protection Dress für schlappe 400$ genehmigen soll :D
Enrico Palazzo
2024-09-24 21:50:13
Sicher, dass das nicht Humor sein soll? Ansonsten wäre es mit das durchgescheppertste, aber auch witzigste, das ich seit langem gesehen habe :D
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