Arthur & Yu - In camera

Memphis / Cooperative / Universal
VÖ: 17.08.2007
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Die Zeitreise

Natürlich wäre es illusorisch zu behaupten, alles, was sich heutzutage auch dem Musikmarkt tummelt, sei bloß eine Kopie dessen, was bereits vor dreißig, vierzig Jahren aus dem Boden geschossen kam. Doch wenn wieder einmal der angelsächsische Post-Punk dank einer neuen, nichtigen Inkarnation dran glauben muss und ein Großteil der englischen Bands in ihrer Einfallslosigkeit entlarvt wird oder die dreitausendste, wild kostümierte Band mit Federboa und homosexuellem Touch in einer Schlange Ebenbürtiger auf den Startschuss zum Kurzzeiterfolg wartet, mag man die Augen am liebsten für immer vor diesem berechenbaren Zirkus verschließen. Mit Herz und Hirn in der Hand wird zu dem gegriffen, was verstaubt in der Ecke wartet: Zu den unaufgeregten Beatniks der Swingin' Sixties, zu den innovativen Folkrock-Poeten der akkordarmen Seventies, zur Fusion von Psychedelia und Jazz, die Südengland nach dem Abgang der Hippies voll und ganz in der Hand hielt, oder auch zum nachdenklichen Akustik-Troubadour, der heute nicht mehr unter uns weilt.

Grant Olsen und Sonya Westcott aus Seattle haben das gleich erkannt und versuchen erst gar nicht, sich an neuzeitlichen Einflüssen zu bedienen oder aktuellen Wegweisern hinterherzurennen. Der Bandname macht unmissverstänlich klar, dass ihr Debüt "In camera" eine Reise in die Vergangenheit bedeutet: Denn bei Arthur & Yu handelt es sich um die beiden Spitznamen der Hauptprotagonisten, die sie zu einer Zeit inne hatten, als Plattenvertrag und Merchandising noch ein Fremdwort für sie waren. Wohlan Nostalgie. Die Gitarre wird ruppig geschlagen, aber in Trance und Langsamkeit. Der dröhnende Bass nimmt sich dieser schicken Zurückhaltung an. Flöten stützen die melodiösen Strukturen. Olsens leicht näselnde Stimme erklingt leicht verzerrt, so als habe man sie durch einen Zeitkanal geschickt. "Absurd hereos manifestos" verbeugt sich vor The Velvet Underground, die mit ihrem konsequenten Mittel der experimentellen Entschleunigung mehr als nur eine Band beeinflusst haben.

Arthur & Yu übernehmen dieses Konzept, greifen in ihrer grandiosen nostalgischen Rückbesinnung aber noch nach weitaus mehr Einflüssen, vereinen countryeske Spitzen eines Gram Parsons mit akustisch-psychedelischem Singer/Songwritertum von Donovan. Die schwelgerische Hommage an einen alten Helden, "Come to view (Song for Neil Young)", offenbart ein Traumpaar des klassischen Sixities-Pop als musikalische Inspiration und Wegbegleiter: Nancy Sinatra und Lee Hazlewood. Schöner, prickelnder und romantischer kann eine Flucht in die Eingeweide von musikalischen Ursprüngen kaum klingen. "There are too many birds", das als Ausnahme von Westcott alleine bestritten wird, verzaubert den Hörer mit fruchteigener Süße und allerzartesten Vocals. Als sei Sege Gainsbourg wieder auferstanden, schmeichelt Olsens immer harmonisierende Stimme in "Lion's mouth" erst einmal, bevor seine Gitarre die Hauptrolle übernimmt und das Wort "traumwandlerisch" neu definiert wird.

Überall meint man sie aufblitzen zu hören, die Helden alter Tage: Elvis mit "Viva Las Vegas" im ersten Song, die Chordettes mit "Mr. Sandman" in "The ghost of Old Bull Lee". Doch bevor sich die Assoziationen in abertausenden Bands und Künstlern verwischen und "In camera" dem Ende mit immer neu entfachter Begeisterung entgegeneilt, erklingt einer der vielleicht schönsten Songs des Jahres zum Schluss. Die warmherzige Akustikballade "Black bear" ist ein Monstrum an Pracht, Schimmer, Schmelz und Symmetrie. Rock'n'Roll, der sich in Andacht vor sich selbst verneigt, vor seinen Refrains, die mit jeder Zeile die Seele zum Erzittern bringen, vor seiner Zerbrechlichkeit und Harmonien, die für den gewissen Moment alles bedeuten können. Wo bitte steht die nächste Zeitmaschine? Oder heißt sie etwa "In camera"?

(Markus Wollmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Absurd heroes manifestos
  • Come to view (Song for Neil Young)
  • Lion's mouth
  • Black bear

Tracklist

  1. Absurd hereos manifestos
  2. Come to view (Song for Neil Young)
  3. There are too many birds
  4. Afterglow
  5. Flashing the lobby lights
  6. Lion's mouth
  7. 1000 words
  8. The ghost of Old Bull Lee
  9. Half years
  10. Black bear
Gesamtspielzeit: 35:17 min

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