Matt Elliott - Failing songs
Ici D'Ailleurs / CargoVÖ: 27.07.2007
Leningrad cowboy
Wir schreiben Osteuropa, weit vor unserer Zeit. Eine Kneipe zur nächtlichen Stunde im naturumringten Nirwana. Silhouetten düsterer Gestalten zeichnen sich in schwach beleuchteten Sitzecken ab. Die Kippe löst sich in Zeitlupe zwischen den mitgenommenen und zitternden Fingern in Luft auf. Der Wodka, der Schnaps, der Whiskey, egal was, es vergeht ein volles Gläschen nach dem anderen. Ein Klagelied ertönt, so wie jeden Abend, so wie jede Minute, so wie zu jeder Zeit.
"Failing songs" ist Teil einer Trilogie. Nach dem Alkohol stehen nun Versagen und Scheitern an. Schwer fällt es, bei einem ausgewiesenen Pessimisten wie Matt Elliott an den letzten Teil zu denken, der noch nebulös im unscheinbar Kommenden auf uns wartet. Mit Teil eins, den "Drinking songs", überraschte er vor zwei Jahren jedermann. Osteuropäische Folklore, bis ins Mark erschütternd, hoffnungslos, verzweifelnd. Ein schwarzes Loch in der Seele und doch wunderschön. Seit seinen Lehrzeiten bei Amp und Flying Saucer Attack sowie dem Start seines eigenen, grandiosen Projekts Third Eye Foundation (1996) waren dem Engländer melancholische Neigungen nie wirklich abzusprechen. Bisher fanden die sich aber eher in erdrutschartig lärmenden Gitarren und kontemplativem Drum'n'Bass wieder. Auch sein erstes Soloalbum "The mess we made" (2003) blieb diesem Motto treu, wenn auch mehr in Richtung Ambient tendierend.
Um so erfreulicher, dass der inzwischen in Frankreich lebende Elliott mit "Failing songs" den neu eingeschlagenen Weg von traurigen, russischen Walzern und introspektivem, erdigem Songwriting fortsetzt. Damit aber die aktuelle Veröffentlichung nicht zu einem eineiigen Zwilling der wegweisenden "Drinking songs" verkommt, hat er seine Exkursionen im europäischem Liedgut weiter ausgedehnt. So erklingt mit "Desamparado" spanische Kammermusik, bevor sie sich selbst in mattem Dröhnen und unförmigen Gitarrenbrei zersetzt. Mit Fernweh zwischen den Saiten versucht sich auch das kindlich-minimalistische Instrumental "The ghost of Maria Callas" den Weg in südlichere Gefilde zu bahnen. Harmonisierende Melodien bitten erstmals um Gehör.
Aber vergebens, denn mit "Gone" holt den Abkömmling die harte Realität wieder ein. Der brummelnde Chor, in dessen Zentrum Elliott albumübergreifend hockt, besingt ungeweinte Tränen und ständige Fehlschläge. Die Akustische flankiert zwischen festen Strukturen und freiheitlicher Gedankenverlorenheit. Viola und Percussions ertränken sich im Fluss. Ein Tanzrhythmus lebt auf, zu dem niemand seine Beine schwingt. Schwere Blicke, auf Bleifüßen sitzend, richten sich gen Boden. In Gedanken: blühende Vergangenheiten. Die Zukunft: ein Schimpfwort. "Our aspirations turn to ashes in our hands", singt Elliott in "The failing song". Trotz des Ungemachs - die slawische Folklore wirkt besänftigend. Ein tiefschwarzes Mantra, das im unheilvollen Szenario mit Kraft und Gewalt minimale Schönheiten aufkeimen lässt. In jedem Scheitern liegt ein Neuanfang. Nastrovje!
Highlights & Tracklist
Highlights
- The failing song
- Desamparado
- The ghost of Maria Callas
Tracklist
- Our weight in oil
- Chains
- The seance
- The failing song
- Broken bones
- Desamparado
- Lone gunmen required
- Good pawn
- Compassion fatigue
- The ghost of Maria Callas
- Gone
- Planting seeds
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