Circa Survive - On letting go

Equal Vision / Cargo
VÖ: 22.06.2007
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Mythos des Sisyphos

"Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen", forderte Albert Camus und brachte damit seine Philosophie des Absurden vortrefflich auf den Punkt. "On letting go" ist das zweite Album von Circa Survive und macht deutlich: Camus hat recht! Bereits "Juturna" war ein Rohdiamant, der sich von Hördurchgang zu Hördurchgang selbst zu schleifen vermochte. Ein Album über Kraftanstrengungen, die das Leben einem abfordert, im wechselseitigen Miteinander aller Menschen und der beiden Liebenden. "On letting go" führt diesen Weg weiter, beschäftigt sich aber nicht mit dem Errichten von Beziehungen aller Arten, sondern mit dem Dahinscheiden dieser und der Frage, wie der Mensch damit umzugehen hat.

Das Hinfortscheiden, Hinwegwehen, Verschwinden, auch auf dem Album-Cover dargestellt, zieht sich nicht nur textlich durch sämtliche Songs des neuen Albums. Bereits der Opener "Living together" überwältigt mit Melodiefetzen und Anspielungen, die durch den Raum schwirren, unauffindbar bleiben und sich selbst beim Drücken auf die Repeat-Taste nicht mehr ausfindig machen lassen. Im Zentrum steht dabei stets Anthony Greens gewaltige Stimme, welche ohne Zweifel erhaben ist. Ebenfalls erwähnenswert: die Gitarrenarbeit von Colin Frangicetto, welche schon im ersten Track beeindruckt. Druckvoll und doch stets im Hintergrund, stellt er eine Art Dialog zwischen seinem Instrument und Green her.

Tempo ist ein Faktor, dem die Band einen hohen Stellenwert zukommen lässt. Experimente mit Beschleunigung und Druck, wie zum Beispiel im gewaltigen "The greatest lie", lassen einen äußerst proggressiven Charakter entstehen, der dem Sound von Circa Survive äußerst gut zu Gesicht steht und sie in der Masse der Emo-Bands eindeutig hervorstechen lässt. Dass man sie von diesen klar abgrenzen darf, war dabei eigentlich schon beim Debüt klar, jedoch lastete Green wohl die Saosin-Vergangenheit etwas zu sehr an. "The greatest lie" lässt sich ohne Übertreibung als Arie dieses großen Sängers bezeichnen; er zieht alle Register und verliert sich letztendlich selbst. Verschwindet im Nichts, aber nicht schmerzlos. Der Verlust der eigenen Materie geschieht ausgedehnt und schmerzlich. Alle Nuancen und Ebenen der Songs auf "On letting go" ereilt dasselbe Schicksal wie den Menschen. In der Auflösung und der Vermischung mit Zeit und Raum geht zwar sowohl diese Musik als auch der Mensch verloren, jedoch muss dieser Prozess als gewollt, nötig und gut angesehen werden. Um das mal analytisch auszudrücken.

So wie Sisyphos einem scheibar nutzlosen Tun nachgeht, so ist er doch glücklich. Denn jedes Mal aufs Neue verliert er sich selbst in seiner Aufgabe und fängt dadurch an, über sie hinaus zu existieren. Nicht viel anders ist es mit Circa Survive, die, wie zum Beispiel bei "Mandala", komplett in den Hintergrund treten und das Album, nicht den Song, zum Star machen. Dieser Zweitling ist demnach natürlich keine Ansammlung von Hits oder in irgendeiner Weise radiotauglich, für jugendliche Ohren eher bedingt zu empfehlen. Circa Survive fordern Geduld ab und wollen ihre Musik als Akt der Befreiung für sich selbst und den Hörer verstanden wissen. Denn hat man den Stein hochgerollt, wird er ohne Zweifel wieder herunter rollen.

(Konstantin Kasakov)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Living together
  • The greatest lie
  • Kicking your crosses down

Tracklist

  1. Living together
  2. In the morning and amazing...
  3. The great lie
  4. The difference between medicine and poison is in the dose
  5. Mandala
  6. Travel hymn
  7. Semi constructive critiscism
  8. Kicking your crosses down
  9. On letting go
  10. Carry us away
  11. Close your eyes to see
  12. Your friends are gone
Gesamtspielzeit: 45:29 min

Im Forum kommentieren

Voyage 34

2020-09-08 00:11:03

Oh ja, die Platte hab ich auch ne Zeit lang mal seeehr gerne gehört. Wird wohl Zeit mal wieder aufzulegen...

Affengitarre

2020-09-07 19:56:40

Ich möchte nochmal kurz schreiben, wie großartig ich dieses Album finde und es einfach nicht abbauen will. Anthony Greens wunderschöne Engelsstimme, die wunderbar miteinander harmonierende Instrumentalfraktion, in welcher jedes Mitglied gleichberechtigt nebeneinanderspielt und diese schwebende, fantastische Stimmung. Was für eine Band!

didz

2019-09-09 00:24:42

ich hab die band nach on letting go leider aus den augen verloren...weiss gar nich genau wieso, weil mir die ersten beiden alben sehr gut gefallen.

homogen trifft es sehr gut, das album is sehr stimmig und in sich geschlossen. bei vielen alben denke ich vllt zuerst an einzelne songs, oder an abschnitte bzw hälften usw., aber hier isses tatsächlich das ganze album, die summe der einzelteile, die atmosphäre an was ich zuerst denke.

muss mir dringend ma die neueren sachen anhören.

Affengitarre

2019-09-08 20:41:30

Immer noch wunderbar.

Affengitarre

2019-07-05 11:12:11

Für mich deren liebstes Album, auch wenn die eigentlich über ihre ganze Karriere nichts Schwaches veröffentlicht haben. Extrem homogen, ein fabelhafter Albumfluss und ein Sound und Songs zum Schweben. Das hat bei mir sicherlich Jahre gedauert, bis ich die einzelnen Songs so für sich fassen konnte, obwohl das ja nicht sonderlich komplex ist, aber dafür ist die Halbwertszeit einfach enorm. Das ist in Musik gegossene Medizin, Seelenbalsam.

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