Wir Sind Helden - Soundso
Labels / EMIVÖ: 25.05.2007
Dann und wann
Hartmut Engler glaubt an Helden. Wenn es sonst schon keiner tut, dann wenigstens der Mann, der den deutschsprachigen Arena-Rock einst mit Fuchsschwänzen behängte und sich selbst einen stehen ließ, der Roberto Baggio neidisch gemacht hätte. Vor knapp zwei Jahren schon, als man gerade anfing, ans zweite Wir-Sind-Helden-Album zu denken, sagte der Pur-Sänger seinen Freunden von der ProSieben-Webseite, dass er da guter Dinge sei, man halt mal gucken müsse, wie die sich jetzt weiter durchschlagen, und es ja schon wichtig sei, sich längerfristig zu behaupten, wie das eben seine eigene… na wir brechen das hier mal ab. Engler jedenfalls sah es voraus, Wir Sind Helden machten es wahr, und wer bei Sportwetten Gera darauf gesetzt hatte, sie als Eintagsfliege abstürzen zu sehen, hätte sein Geld lieber mal in eine Laminiermaschine investiert.
"Von hier an blind" war reifer als das Debüt "Die Reklamation", zeigte die Band bei sachten Kurskorrekturen und etablierte Judith Holofernes als aufrechte Balladenschreiberin, die den aufgedrehten Übermut von "Guten Tag (Die Reklamation)" zwar nicht mehr nötig hatte, aber doch noch gerne auslebte. Skeptisch sind jetzt gerade trotzdem wieder alle, da sich das dritte Album "Soundso" anschickt. Und da es auch noch mit dem allzu albernen Hüftprothesen-Funk von "Ode (An die Arbeit)" inklusive Saxophonsolo und göttlicher Intervention am Ende losgeht. Holofernes und Pola Roy haben ein Baby gekriegt, da glaubt man ja bei Musikern immer gleich, dass sie danach nicht mehr beißen wollen und allgemein schneller satt sind. Sollte "Soundso" aber überhaupt ein Problem haben, dann hat es sicherlich nichts mit fehlenden Ambitionen zu tun.
Es gibt auf dieser Platte keine eindeutig dem Nachwuchs gewidmeten Loblieder, obwohl sie voll ist von kleinen Anspielungen in diese Richtung, es gibt keine Vorfälle, die man mit Chris Reas "Julia" oder Liam Gallaghers "Little James" in eine Reihe stellen müsste. Wir Sind Helden sind auch nicht zahmer oder gar selbstgefällig geworden - "Soundso" reckt und streckt sich ganz im Gegenteil ein bisschen zu angestrengt in seiner Mission, das bisher vielseitigste Album der Band zu werden. Kompromisslos ausgeschlachtete Gitarrensoli, ungezählte Hintergrund-Faxen, ein paar Spielchen mit gedoppelten Lead- und effektbeladenen Backgroundvocals, Francesco Wilking (Tele) als Gaststar, ein Klavier und Streicher to go. "Soundso" probiert dies und das, es sind aber leider die schieren, nackten Songs, die ein bisschen zu eng sitzen für so viel Abenteuerlust.
Passend dazu darf nach dem eher introvertierten "Von hier an blind" auch der Blick wieder weiter schweifen. Arbeitszwang und Konkurrenzdenken werden genauso verhandelt wie der "Wimpernschlag in der Zeit", der zwischen dem zweiten Weltkrieg und Deutschland heute liegt. Das zugehörige Lied heißt "Der Krieg kommt schneller zurück als Du denkst" und zitiert Nick Lowes "(What's so funny 'bout) Peace, love and understanding" - textlich hat einen "Soundso" aber trotz solcher Eingebungen und der schlauen Wortverdreher aus "The geek (Shall inherit)" oder der prima chaotischen Wolfgang-Schäuble-Beunruhigungs-Single "Endlich ein Grund zur Panik" nicht mehr ganz so fest im Griff wie die Vorgänger. Vielleicht der größte Unterschied zu 2005: Damals staunte man darüber, was Holofernes sang. Heute ist das Ereignis, wie sie singt (und schreit). Mit Teufelchen links auf der Schulter. Und ohne erkennbare Rührseligkeit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The geek (Shall inherit)
- Endlich ein Grund zur Panik
- Lass uns verschwinden
Tracklist
- Ode (An die Arbeit)
- Die Konkurrenz
- Soundso
- Für nichts garantieren
- Kaputt
- Labyrinth
- The geek (Shall inherit)
- Endlich ein Grund zur Panik
- Der Krieg kommt schneller zurück als Du denkst
- Hände hoch
- Stiller
- Lass uns verschwinden
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Perfect Day
2024-03-06 20:48:03
Tolle Band, nur im Rahmen ihres Erfolges etwas zu dauerpräsent. Man kann aber 2024 jedes Album von ihnen noch anhören und faszinierende Sachen wiederentdecken. Würde diese Band jederzeit verteidigen und abfeiern!
Affengitarre
2024-03-06 20:39:07
Oh ja, der ist auch toll.
DerMeister
2024-03-06 20:30:37
Lass uns verschwinden ist klar mein Favorit. Hatte ich ja auch im deutschsprachigen Song-Poll dabei.
Affengitarre
2024-03-06 20:06:38
Schon ein faszinierendes Album. Von den Songs fast ein bisschen wie ein Hybrid aus dem Debüt und "Von hier an blind", ohne ganz an deren Konsistenz heranzukommen, gleichzeitig klingtn manche Sachen nach schwächeren Versionen vorheriger Songs. Trotzdem sind da noch einige tolle Sachen dabei und vor allem "Labyrinth" wäre auch auf der fantastischen "Von hier an blind" ein absolutes Highlight für mich.
Highlights: "Soundso", "Für nichts garantieren", "Kaputt", "Labyrinth", "Stiller"
Daniel
2008-01-27 21:40:26
Was haltet ihr eigentlich von dem +44-Cover?
http://www.youtube.com/watch?v=yvRor3IBLhM
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