Dinosaur Jr. - Beyond

PIAS / Rough Trade
VÖ: 27.04.2007
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Fossil Park

Nach dem Rausschmiss von Lou Barlow, der daraufhin mit Sebadoh erneut die Musikwelt auf links drehen sollte, und dem konsequenten Herausbluten von Schlagzeuger Murph aus den ersten Alben der Neunziger war es lange Zeit J Mascis allein vorbehalten, das einflussreiche Erbe Dinosaur Jr.s zu verwalten. Der folkrockende Grundbau, der enthusiastische Punkrhythmus, das wahnwitzige Funkensprühen aus dem Fuzzpedal und der gegen das Dröhnen beleidigt annuschelnde Gesang: Drei unter dem alten Bandnamen nahezu in Eigenregie eingespielte Alben, sowie zwei weitere als J Mascis & The Fog, sollten noch dem letzten Zweifler beweisen, dass all das, was man von Dinosaur Jr. erwarten konnte, von Mascis ebenso zu bekommen war. Was bedeutet unter diesen Vorzeichen nun die Rückkehr einer Originalbesetzung nach mehr als 18 Jahren? Steckt tatsächlich mehr dahinter als das elektrisierende Gewittern um einen Altherrenstammtisch, den man nun wieder so haben kann, wie er sein sollte, aber im Grunde niemals war? Als Schallverwirrung eines Karten-, Bierhumpen- und vor allem Sprücheklopfens, in dessen Wirrwarr man die einzelnen Stimmen kaum unterscheiden, die jeweiligen Aussagen nur schwer zuordnen kann? Apropos...

Auch "Beyond" stürmt mit "Almost Ready" in einem Sound nach vorne, der zugleich, der große Webster sei mit uns, den aktuellen Klang und die Resonanz einer verstrichenen, doch nie entschwundenen Zeit bedeutet. Bereits mit jedem verrauschten Riff und knapp verzogenen Snareschlag ihres Meisterwerks "You're living all over me" hatten Dinosaur Jr. diesen Sound des Deplatzierten und Vergangenen zur Hochkultur eines musikalischen Kauderwelsches differenziert, das nun, zwei Jahrzehnte später, tatsächlich in der Lage zu sein scheint, die eigene Bandgeschichte aufzufangen und zu kommentieren. Denn es ist genau die innere Kohärenz eines von Anfang an kultivierten und ewig widerhallenden Klanggerüsts, die auch ihre Wiederkehr als Band ab der ersten Note absolut plausibel erscheinen lässt.

So einiges passiert dann auch auf "Beyond" im Kielwasser dieses Sounds, der sich schon früh nach einem Denkmal anhörte und heute eines ist. Man erinnert sich mit der entspannten Strophe von "Crumble" oder auch bei "Back to your heart" - eines von zwei Liedern, die Barlow auf "Beyond" geschmuggelt hat - daran, weshalb Mascis damals das erste Buffalo-Tom-Album produziert hat. Denn die wurden zwar nie zu Dinosaurs Jr.s rechtmäßigen Erben, blieben aber doch, wie diese, stets willkommene Klassiker. Ebenso gibt "We're not alone" den Lemonheads den Rest Würde zurück, den sie sich selbst noch nicht wieder erkämpft haben. "Been there all the time" aktiviert mit seinen euphorischen Auftakten die poppunkigeren Erweiterungen des Dinosaur-Jr.-Stils, wie ihn einige ihrer Nachfolger, etwa die Doughboys, hinbekommen haben. Nach "This is all I came for" und "What if I knew" schwirren indes wie eh und je noch stundenlang Hochdruckschwärme aus Melodie- und Rhythmusfetzen durch des Hörers Kopf. Und mit "It's me" fühlt man das Vibrieren sprudelnder Metal-Akkorde als jene somatische Paralyse heraufziehen, die sich bereits auf "Dinosaur" von Ganzkörper-Soli und dazwischen geworfenen Beats vergnüglich das Rückgrat brechen ließ. Den Zweiflern sei deshalb hier bereits gesagt: An Energie und Körperlichkeit hat "Beyond" rein gar nichts verloren. Und ob Mascis genau das allein hinbekommen hätte, darf milde bezweifelt werden.

Bleibt noch die Frage zu klären, ob all das im neuen Jahrtausend noch wichtig, richtig oder wegweisend ist? Nun, "Beyond" hätte nur dann noch besser werden können, wenn es eine selbstgeschaffene Nische nochmals erfunden hätte. Dinosaur Jr. allerdings daran zu messen, ob sie es 2007 erneut schaffen, einen Stil zu kreieren, der die musikalische Welt unwiderruflich verändert, wäre nicht nur unfair, sondern auch ziemlich idealistisch. Dass sie sich auf Erreichtem ausruhen, mag im Großen behauptbar sein. In jeder kleinen energetischen Spitze ihrer neuen Songs wohnt jedoch die Erkenntnis, dass dem genau nicht so ist.

Denn in der Tat hat "Beyond" das Potenzial, wahre Begeisterungsstürme auszulösen und Leidenschaft für ein Leben zu entfachen, in dem jeder es begleitende Ton nur Teil eines riesigen, lebenden Fossils ist, dessen Nische mittlerweile überbevölkert sein mag. In dieser bleiben Dinosaur Jr. aber nach wie vor in Sound, Dynamik und Songwriting absolut unkopierbar. Deshalb kann "Beyond" vielleicht die Welt nicht neu erfinden, jedoch jedes noch so unbedeutende Leben retten und durch die Zeiten schleudern. Und somit wichtig, richtig und in zumindest einer Richtung wegweisend sein: von allen Seiten mitten durch die Zeit- und Schallmauer einer Jurassic World.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Almost ready
  • Back to your heart
  • Been there all the time
  • Lightning bulb

Tracklist

  1. Almost ready
  2. Crumble
  3. Pick me up
  4. Back to your heart
  5. This is all I came for
  6. Been there all the time
  7. It's me
  8. We're not alone
  9. I got lost
  10. Lightning bulb
  11. What if I knew
Gesamtspielzeit: 49:34 min

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