Priestbird - In your time

Kemado / Rough Trade
VÖ: 13.04.2007
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Trio Infernale

Plötzlich waren Tarantula A.D. von der Bildfläche verschwunden. Wohin? Die Spatzen pfiffen Gerüchte von den Dachrinnen, doch nichts Genaues wusste man auch nur ungefähr. Nachdem die genialischen drei Multiinstrumentalisten mit "Book of sand" eine der ungewöhnlichsten und atemberaubendsten Scheiben des vergangenen Jahres geschmiedet hatten, gerieten die Querköpfe bei kreativen Rangeleien aufs Derbste aneinander und entbrannten in heftigen Streit. Kurzerhand stoben sie auseinander, flogen quer über die Welt und gingen dort je ihrer eigenen Wege: Einer schulterte seinen Seesack und reiste nach Argentinien, um sich dort einem Tango-Orchester anzuschließen. Der Zweite tingelte angeblich nach Italien, um sich dort als halbprofessioneller Kicker sein Einkommen zu erdribbeln, während der Dritte ins Himalaya pilgerte, um dort auf spirituellen Selbsterkenntnispfaden zu wandern. Etwa ein Jahr später jedoch trafen sie sich in Brooklyn wieder, gerieten abermals aneinander und begannen - so will es die Legende - aus diesem Streit heraus, wieder miteinander zu musizieren.

Aus der Asche von Tarantula A.D. stieg also ein neues Projekt empor, das nun neue Pfade erkundet. Die individuelle Entwicklung im Trennungsjahr hatte Spuren hinterlassen, sodass der Neuanfang auch einen neuen Namen bekam. Nach der Figur in einem der Songs auf "Book of sand" nennen sich Saunder Juurians, Danni Bensi und Gregory Rogove nun Priestbird. Verändert hat sich indes nicht nur der Name, sondern auch der Sound. "Book of sand" war ein monströser Koloss mit multipler Persönlichkeitsspaltung, in dem brachialer Dampfwalzendoom und hauchzarte Klavierlinien, ein expressionistisches Streichquartett, Tango im Geiste Piazollas, psychedelische Waberschwaden und eine Unzahl weiterer skurriler Klanggestalten umherspukten und sich aufs Wundersamste verbanden. Nah am Abgrund, nicht selten einen Schritt darüber hinaus, episch und selbstverloren. Vieles ist auf "In your time" ähnlich geblieben und doch völlig anders.

Streckte sich "Book of sand" in riesigem Spagat zwischen den musikalischen Jahrzehnten, taucht "In your time" überwiegend in den Klanggewässern der späten 60er- und frühen 70er-Jahre. Verglichen mit den verschrobenen, überwiegend instrumentalen Epen von Tarantula A.D. zeigen sich Priestbird auch über weite Strecken song- und grooveorientierter - die Strukturen sind klarer, der Gesang hat sich ein Stück weiter in den Vordergrund geschoben. Gerade zu Beginn der Platte greifen sie beherzter und konsequenter zu als vorher. Mächtige Riffs wie Schwerlastkähne walzen voran, mal kraftvoll vorwärts drängend wie in "Life not lost", mal tonnenschwer schleppend wie in "Smoke & pain". Unheildrohend flüstert der Gesang. Gregory Rogove changiert hinter der Schießbude geschickt zwischen Vorschlaghammer und vielschichtiger Feingliedrigkeit. Gitarren jaulen auf, verstummen. Cellolinien schlängeln sich zwischen den Akkorden hindurch

Mit zunehmender Dauer der Scheibe fächert sich das Klangspektrum weiter auf. "Guest room" unterbricht als traumschönes Zwischenspiel mit hauchzarten, leicht schlingernden Klaviertönen die geballte Gitarrenmacht für anderthalb Minuten, wie Trauerflor umweht von zarten Chorschleiern. Im Anschluss durchmisst "Hand that draws" minutenlang über still stehenden Spaltklängen, eingestreuten Banjos, verstimmten Klavierakkorden, weltentrückten Chören die Weite des Raumes, ehe beinahe aus dem Nichts sich machtvoll ein hypnotischer Groovestrudel entwickelt und die vorherige Reglosigkeit hinwegfegt. In "Jackyl" zupft sich eine Gitarre über atmosphärischen Sphären einer Äolsharfe die Finger blutig. In der zweiten Albumhälfte zerfasern die Strukturen ein wenig, die Räume werden weiter, die Klänge weicher. Psychedelische Traumversenkung, hanfgedämpftes Bewusstsein, kunstvolle Selbsterkundungen. Lang gedehnte Spannungsbögen wimmeln vor winzigen Details, verschrobenen Ideen, die sich oft erst allmählich aus ihren Verstecken ins Ohr schleichen. Schlingernde Klavierakkorde, Flötenarpeggien, Banjosprenkler, obskure Geräusche, Engelschöre. Mit "Mandog" schließt das Album nach einer kürzeren Ruhepause fast dadaistisch mit Heulbojengesang über holprigen Akkorden auf der Lagerfeuerklampfe.

Die Metamorphose ist geglückt. Auch wenn die Scheibe zutraulicher daherkommt als "Book of sand", ist der Hörer doch nie auf der sicheren Seite. Auch unter neuer Flagge begeistert das infernalische Trio mit erstaunlicher Experimentierfreude, entwirft originelle Klanglandschaften, taucht nach Schätzen der Vergangenheit, ohne gestrig zu klingen. "In your time" braucht ebenfalls seine Zeit, bis es ankommt, ist nichts für hibbelige Gemüter. Aber dann entfaltet es seinen ganz eigenen magischen Sog, begeistert im Jetzt und im Morgen.

(Ole Cordsen)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Life not lost
  • Guest room
  • Hand that draws
  • Kliminz

Tracklist

  1. Life not lost
  2. Season of the sun
  3. Guest room
  4. Hand that draws
  5. Smoke & pain
  6. In your time
  7. Jackyl
  8. Last to know
  9. Kliminz
  10. Mandog
Gesamtspielzeit: 44:58 min

Im Forum kommentieren

toifel

2007-06-14 01:52:23

naja, gut. "Mandog" ist zum schluss noch was besonderes. so schlecht finde ich die platte ja auch gar nicht. hätte aber durchaus noch mehr drin sein können.

toifel

2007-06-14 01:43:18

im hinteren bereich hätte die platte einiges mehr an unruhe vertragen können. fängt sehr gut an, aber spätestens ab "Jackyl" sollte sich mehr tun. da wartet man irgendwie noch auf was knackiges, etwas besonderes - vergeblich.

Rizu

2007-05-25 19:24:51

Ich fand es auch erst beinahe öde. Irgendwie komisch. War enttäuscht. Denn ich habe die Platte längst nicht so spannend erlebt, nachdem gerade auch hier äußerst lobende Worte gefallen sind. Aber inzwischen wächst die Platte bei mir. Wird von Mal zu Mal größer. Und jetzt kann ich wirklich die Begeisterung verstehen. Es hat nur gedauert.

keenan

2007-05-25 12:52:01

hab mir die platte aufgrund der vielen guten kritiken mal blind gekauft. bei eclipsed war sie sogar album des monats.

also dem kann ich mich absolut nich anschließen. die platte hat bei mir (6/10) erreicht. finde da is nix besonderes dran. und grade die ersten 5 lieder sind ja nun mal mehr als langweilig.

war echt schwer enttäuscht von der platte. 17 euro in den sand gesetzt.

das beste an der cd ist immer noch das cover

X-Box Gott

2007-04-30 21:28:56

Hab die Platte grad vor mir. 9/10 Punkten. Durchweg sehr gut, außer vielleicht Seasons of Sun (an das ich mich immer noch gewöhnen WILL) und das etwas komische Mandog. Sonst jeder Track schlicht genial (Besonders Life not Lost und Hand that draws).
Und... cooles, typisches Progcover!

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