Ted Leo And The Pharmacists - Living with the living

Touch & Go / Soulfood
VÖ: 23.03.2007
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Das prekäre Prekariat

Ein Takt, ein Schütteln und ein Rütteln, Geschwindigkeitsrekorde in Gitarrenlaufbetonungen, sich spannende Stimmbänder, hochfliegende Emotionen und dann noch das: Handclaps spenden sich selbst Applaus für eine weitere Euphoriedosis von Ted Leo und seinen Pillenvertretern. Zu Recht! Denn was so beginnt wie "Living with the living" mit "The sons of Cain", das darf gerne stolz auf sich sein. Das nimmt den Schwung mit in den Tag, wo es als Endorphinspritze gegen die Großen und Bösen dieser Welt seine Wirkung entfaltet. Das verursacht kleine Revolutionen im Stammhirn, ein begeistert vor sich hinschnippendes Elektrogewitter, das Erheben der eigenen Gedanken aus dem drögen Mittelstand auf den Boden der Tatsachen des Blitzgescheiten. Als aufrechter Revoluzzer war Ted Leo dafür stets zu haben und mehr als gut genug. Doch rettbar ist dieses Hochgefühl natürlich ebenso wenig wie die Welt an und für sich. Irgendwann setzt sie halt doch immer ein, die Ernüchterung. Im Falle von "Living with the living" geschieht das allerdings früher als jedermann lieb sein kann.

Denn bereits zu "Who do you love" beginnt die schleichende musikalische Deklassierung. Ebenso wie bei "Colleen" zuckelt es hier zwar noch ordentlich vor sich hin, kommt dann aber doch nirgendwo an. "A bottle of buckie" bleibt immerhin noch so lange Durchschnitt, bis sich der Song eine The-Corrs-Flöte viel zu tief in den Rachen schiebt und so zum Spontanabgang des Mageninhalts führt. Hernach entwickelt sich "La costa brava" bloß noch zu unfassbarer Ermüdung. Und schließlich erreicht das Album seinen Tiefpunkt mit dem Sunshine-Reggae von "The unwanted things", bei dem Leos Stimme derart klischeehaft und deplaziert wirkt, dass der Titel auf beängstigende Weise Sinn ergibt. Wenn dann all jenen, die es noch immer nicht verstanden haben, mit ein paar Takten Dub der The-Clash-Zaunpfahl mitten in die Kauleiste gerammt wird, fragt man sich ernsthaft, wen Leo hier eigentlich veralbern will.

Resigniert, ja, desillusioniert bleibt festzustellen: Gäbe es nicht das druckvolle "Bomb. Repeat. Bomb", so wäre der Abstieg des gesamten Mittelteils von "Living with the living" in die musikalische Unterschicht nicht mehr aufzuhalten. Und fassungslos bleibt zu fragen: Was gewittert neuerdings bloß in diesem sonst so genialen Kopf? Denn obwohl Leo sich all das selbst eingebrockt hat, so hat er dennoch alles andere verdient.

Nur weil "The lost brigade", "Some beginner's mind" und "C.I.A." an Fahrt und Güte zunehmen, kommt zum Ende doch noch ein Album heraus, das mit einigen guten Songs (und einem herausragenden) die Mittelklasse gerade so hält. Das aber ist, eingedenk einer bisher makellosen Bilanz von drei schlicht hervorragenden Alben, beinahe schon so beschämend mit anzuhören wie die Vorentscheide irgendwelcher Casting-Shows. Und wenn einem selbst die Revolutionäre schon dermaßen leid tun, dass man ihren Anblick kaum mehr ertragen kann, wohin steuert diese Gesellschaft dann? Vielleicht gibt es von Leo darauf in Zukunft ein paar Antworten. Hoffentlich. Oder doch lieber nicht?

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The sons of Cain
  • The lost brigade
  • C.I.A.

Tracklist

  1. Fourth world war
  2. The sons of Cain
  3. Army bound
  4. Who do you love
  5. Colleen
  6. A bottle of buckie
  7. Bomb. Repeat. Bomb
  8. La costa brava
  9. Annunciation day/Born on Christmas day
  10. The unwanted things
  11. The lost brigade
  12. The world stops turning
  13. Some beginner's mind
  14. The toro and the toreader
  15. C.I.A.
Gesamtspielzeit: 61:09 min

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