Polarkreis 18 - Polarkreis 18

Motor / Edel
VÖ: 16.02.2007
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Träume tanzen

Schnee und Eis, Kälte und Frost. Wenn einem die Finger in den Taschen steifzufrieren drohen und man das Gefühl hat, selbst der Rotz in der Nase würde auskristallisieren, sehnt man sich nach Wärme. Und wenn das schon für hiesige Breitengrade gilt, wie ausgeprägt ist diese Sehnsucht wohl im Polarkreis? Wer Erstkontakt mit dem Debüt der Dresdner Polarkreis 18 aufnimmt, dürfte schnell ein Gefühl für derlei Empfinden bekommen.

Wobei man da gleich schon beim Stichwort ist: Emotionen stecken bis unter den Rand in den Streichern, Gitarrenflächen und Hüllkurven von "Polarkreis 18". Und natürlich in Felix Räubers verwunschenem Falsett. Diese hoch in den Wolken herumschwirrende Stimme hinterlässt jede Menge Rätsel. Dabei überkommt einen immer mehr das Gefühl, hier wäre jemand auf der Suche nach irgendwelchen Phantasien. Nach erträumten Befreiungen und befreienden Träumen.

Zudem kann man eine solche Platte kaum passender anfangen, als mit einem Song namens "Dreamdancer". Wobei es ein spannender Traum ist, durch den Polarkreis 18 hier taumeln. Hyperaktives Schlagzeug, anschwellende Streicher, ein warmer Bass - und während man noch rätselt, in welcher Kunstsprache Räuber hier wohl tirilieren mag, verliert er nach und nach die Nerven. Was zunächst kaum auffällt, weil die Streicher immer wilder das eigentliche Drama ankündigen. Und dann bricht es sich nachhaltig Bahn: in schroffen Gitarrenriffs, Schlagwerkstakkati und enerviertem Kreischen.

Selbst als sich die Spannung in den freundlichen Flächen von "Chriopody" eigentlich auflösen könnte, verweigern die aufgestellten Nackenhaare eine Beruhigung. Zu gewöhnungsbedürftig wirken die paradoxen Stimmungen: hektische Melancholie, aggressive Zärtlichkeit, euphorische Verzweiflung. Eine nervöse Vielseitigkeit zieht sich durch dieses Album, lässt jedoch an fast jeder Stelle ihre innere Logik spielen wie Kristalle im Schneegestöber. "Stellaris" verführt mit seinen Geigen, "Look" scheppert wie im Rausch, und der tückische Groove von "Comes around" deutet sogar eine Partylaune an. Nach dem bereits faszinierenden Einstieg in diese Klangwelt spürt man immer mehr, wie sich Wärme zwischen den präzisen Texturen, den überbordenden Rhythmen und dem symphonischen Chaos ausbreitet. Und schon will man ganz nah an diese Musik heran.

Natürlich ist das Pop. Aber mit einem derart raffinierten Kniff, den man kaum in Sachsen vermutet hätte. Das melancholische Klickern von "Sometimes sundays" und die knispelnde Eile von "Ursa Major" gemahnen eher an Weilheim, Oberbayern. Und der unbedingte Freiheitswille der Stimme gar an die isländischen Kollegen von Sigur Rós. Das wirklich überraschende an "Polarkreis 18" aber ist, dass solche Referenzangelei immer nur Annäherung sein kann. Den Kern der Sache trifft sie nicht mal ansatzweise. Ein größeres Lob kann man dieser Band kaum machen. Derzeit.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Dreamdancer
  • Chiropody
  • Sometimes sundays
  • Under this big moon

Tracklist

  1. Intro
  2. Dreamdancer
  3. Chiropody
  4. Sometimes sundays
  5. Crystal lake
  6. Comes around
  7. Stellaris
  8. Look
  9. After all, he was sad
  10. Ursa Major
  11. Under this big moon
Gesamtspielzeit: 43:12 min

Im Forum kommentieren

Robert G. Blume

2021-11-28 19:54:05

Nein, schon lange nicht mehr. Felix Räuber macht irgendwas solo, aber das sind deutlich kleinere Brötchen. Das erste Album war aber wirklich fantastisch.

Affengitarre

2021-11-28 17:36:37

Wirklich ein echt gelungenes Album. Schade, dass es so schnell bergab ging. Gibt es die Band eigentlich noch?

The MACHINA of God

2021-11-21 15:55:01

Was hier los ist...

Zustimmer

2012-07-10 20:16:55

Stimmt, da hatte ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Danke!

Manu

2009-06-20 22:09:34

Interessant, das hier alles zu lesen, wenn man nun weiss, wo die Band gerade steht.
Platz 1-Hit, viel poppigere Musik und mittlerweile auch Gast bei Shows wie TV Total.

Hmm, Zeiten ändern sich

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