The Shins - Wincing the night away

Sub Pop / Cargo
VÖ: 26.01.2007
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Aus der Tiefe des Traumes

Die meisten Musikfans haben noch nie ein Studio von innen gesehen, noch nie einer Band bei der Arbeit über die Schulter geschaut. Dabei wäre das so notwendig. Um den langen, steinigen Weg kennenzulernen, der zum geliebten Gut, der Musik, zurückgelegt wird. Es ist keineswegs so, wie man es sich vielleicht vorstellen könnte: Band stellt sich ins Studio, stöpselt die Instrumente ein, drückt drei Knöpfchen, spielt gemeinsam drauflos, und der Song ist im Kasten. Falsch. Wenn nicht gerade ein Solokünstler wie Patrick Wolf am Werk ist, der alles selbst macht, alleine im Studio weilt und mit seinem einzigen Diskussionspartner (sich selbst) überraschend schnelle Einigkeit in allen Punkten erzielt, läuft das vielmehr so: Da wird eine Gitarrenlinie, die am Ende kein Hörer bewusst wahrnimmt, zehn-, zwanzig-, dann dreißig- und hundertmal eingespielt, bis sie endlich wie gewünscht sitzt und der Gitarrist gehäkelte Fingerschoner braucht, weil seine Kuppen wund sind. Da werden Drummuster um Millisekunden hin- und hergeschoben. Und da werden sich über lauter Sachen die Köpfe heiß diskutiert, die dem Hörer vermeintlich völlig einerlei gewesen wären.

Zu den Meistern der nicht bewusst wahrnehmbaren Kleinigkeiten zählen The Shins aus Albuquerque, New Mexico. Sie haben fast drei Jahre gebraucht, um den Nachfolger zu "Chutes too narrow" einzuspielen. Wendet man die einfachste Mathematik an, haben sie an jedem Song von "Wincing the night away" satte drei Monate gearbeitet. Und auch wenn man Popmusik vornehmlich genießen sollte, statt sie analytisch zu zerlegen, war es auch schon immer interessant, einem Shins-Song auf den Grund seines doppelten Bodens zu gehen. Und zu beobachten, dass die schiefe Gitarre hier und das merkwürdige Geräusch dort nicht aus Versehen sitzen, sondern das Ergebnis endloser Feinstarbeit sind.

Wieso die Shins in Deutschland eine geschätzte Indie-Band und in den Staaten dick im Geschäft sind, lässt sich genau mit dieser Liebe zum Detail erklären. Nun gut, natürlich war auch noch das Schleichwerbungs-Feature im phänomenalen "Garden State"-Film. Wenn Natalie Portman eine Band kennt, will man sie schließlich auch kennen. Und wenn sie sagt "Den einen Song musst Du hören, der verändert Dein Leben, ich schwör's", dann folgt man ihr aufs Wort. Aber viel mehr noch als der "Garden State"-Auftritt der Shins sind es die erwähnten Kleinigkeiten, die sie zu Everybody's Darlings machen. Wenn andere Bands glauben, den vermeintlich einfach gestrickten Folkpop der Shins kopieren zu können, dann haben sie schon von vornherein verloren. Weil sie den Song hinter dem Song nicht kennen.

Nun könnte der Leser natürlich langsam ungeduldig werden, weil das hier schon der vierte Absatz ist und noch kein Wort über "Wincing the night away" selbst verloren wurde. Von wegen! "Wincing the night away" nämlich ist The Shins pur, und man muss einiges wissen, bedenken und nicht vergessen, wenn man sich dem Album überhaupt nähern möchte. Nämlich, dass keiner, ob Fan oder Neuling, es beim ersten Durchlauf wirklich gut finden wird. Immerhin, da ist die Single "Phantom limb", die einen anspringt. Der Schellenkranz ist prominenter als die Stimme, bis James Mercer seinen Kontrahenten zum unwiderstehlichen, lang gezogenen "Wooooohoooohhh"-Refrain aus dem Scheinwerferlicht schubst. Und da ist natürlich "Spilt needles", das große Highlight der Platte, dessen Anfang klingt, als machten die Instrumente eine gut durchgeschüttelte Flasche auf. Liebestrunkenheit vorprogrammiert.

Der Rest? Macht mit schrägen Gimmicks und breit angelegten Spannungsbögen erstmal ratlos. Erstmal. Denn nach und nach stellt sich der gleiche Effekt ein wie bei den vergangenen Shins-Alben. Man hört die Songs einmal. Findet sie langweilig. Zehnmal. Kann sie mitsingen. Zwanzigmal. Und findet sie gut. Dreißigmal. Und findet sie phantastisch. "Australia", das nach wirrem Auftaktgezeter den typischen Shins-Midtempo-Mitwipper ausbreitet. Auch "Turn on me" und "Girl sailor" sind Shins-Songs, wie man sie kennt und schätzt. "Red rabbits" entpuppt sich als fesselndes Erzählkino. "A comet appears" ist Romantik pur. Das langweilige "Sea legs" wächst leider nicht über Bonsaigröße hinaus. Aber sogar "Sleeping lessons" zeigt eine gewisse Wirkung, jener wirre Opener, den man anfangs gerne geskippt hat, der aber vielleicht einfach nur die Spreu vom Weizen unter den Hörern trennen sollte. Die, die zuhören, und die Ignoranten auf Hitsuche. Letztere sollen sich bitte trollen. Erstere werden an "Wincing the night away" ihre Freude haben. Weil sich die Details unbewusst ins Hirn schrauben. Und weil das Album bestimmt nicht nach zwei Wochen in der Ecke liegt wie die meisten Neuerwerbungen. "Wincing the night away" braucht Zeit und Liebe. Und ist bereit, alles zurückzuzahlen. Doppelt und dreifach.

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Phantom limb
  • Spilt needles

Tracklist

  1. Sleeping lessons
  2. Australia
  3. Pam berry
  4. Phantom limb
  5. Sea legs
  6. Red rabbits
  7. Turn on me
  8. Black wave
  9. Spilt needles
  10. Girl sailor
  11. A comet appears
Gesamtspielzeit: 41:44 min

Im Forum kommentieren

dieDorit

2024-08-16 17:27:55

3x vollste Zustimmung von mir :)

AliBlaBla

2024-08-16 14:37:14

Ja,tolles Album, über Jahre hinweg ist es bei mir mehr "gewachsen" als die anderen sogar.
The Shins,... würde ich immer noch live hingehen jederzeit.

Yersinia

2024-08-16 14:34:54

Das ganze Album ist nahe an der 10/10.

Huhn vom Hof

2024-08-16 13:21:35

Australia 10/10

Takenot.tk

2020-09-24 12:57:11

Von den drei Alben, die in meiner Sammlung verblieben sind, für mich das schwächste (sehe Chutes Too Narrow vorne, vor Inverted World). Vor allem die Lyrics haben mich auf diesem Album immer gestört.

Nichtsdestotrotz ist auch für mich Spilt Needles ein Hammer-Song, einer der besten der Band auf jeden Fall.
Und Phantom Limb mag ich auch, insbesondere der Refrain, der ist klasse.

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