Ratatat - Classics

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 17.11.2006
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Synästhetik

Kreativität liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Bis der Schöpfer an einen Punkt gerät, an dem ihm sein Publikum unterstellt, kreativ gewesen zu sein, benötigt er jedoch grundsätzlich einen sogenannten Geistesblitz. Er könnte einfach Farbe durch den ganzen Raum spritzen, die Steuererklärungen der letzten fünf Jahre in tanzbare Klänge umwandeln oder vor einer Webcam schicke Grimassen schneiden, um das Ergebnis bei YouTube einzustellen. Dinge tun also, die sonst noch kaum jemand (im Sinne von: maximal ein Prozent der Menschheit) vorher probiert hat.

Schon mit ihrem selbstbetitelten Debüt probierten die Brooklyner Ratatat es mit einem probaten Kniff: Sie nahmen einfach zwei Dinge, die nichts bis wenig miteinander zu tun haben. Und aus gefilterten Amiga-Sounds und Spandex-Hardrock-Gitarren entstand ein herrlich durchgeknalltes Stück Elektrorock. Diese Kreuzung aus dem Soundtrack von The Great Giana Sisters und einem beliebigen Journey-Album nötigte Paul Bangs von Interpol gleich dazu, lobend auf den Couchpotato-Charme von Ratatat hinzuweisen.

Nach einem verspulten HipHop-Remix-Teil namens "Ratatat mixtape Vol. 1" kommt nun der bescheidenerweise "Classics" betitelte Zweitling. Und wieder setzt es einen Haufen umgestülpter Discomuzak mit doppelläufigen Eierkneifer-Gitarren, Blubbergrooves und Rechnerzirpen. In "Lex" spielt eine in 16-bit digitalisierte Illusion von Whitesnake zur Hymne auf. Diese Licks sind hier dermaßen auf augenzwinkernden Kitsch gezwirbelt, daß man es sich kaum noch vorstellen kann, daß das jemand einst durchaus ernst gemeint hat. Was der Sache mit der Kreativität noch mal einen ganz anderen Dreh gibt.

Wer aber nun bei diesen gebrauchsfertigen Instrumentals gleich den Albernheits-Vorwurf zückt, nimmt nur den halben Spaß mit. Denn bei aller sich aufdrängenden Titelmusik-Einsetzbarkeit ihrer Stücke halten Ratatat ein kluges Gleichgewicht zwischen Können, Sollen und Eigentlichnichtdürfen. Die Single "Wildcat" schleicht angenehm relaxt durch die Gegend und faucht dabei sogar auf Knopfdruck. "Kennedy" hat neben ein paar knackigen Offbeat-Riffs auch einen flatternden Baßgroove mitgebracht, der vor kaum einem Hintern haltmacht. Und "Gettysburg" schrubbt sich sogar ein wenig sakrale Melancholie herbei. Fast könnte man glauben, das cinematographische Flirren von "Classics" würde den Titel tatsächlich umsetzen wollen. E-Musik. Klassische Partitur. Daniel Barenboim als rechnergestützter Algoritmus. Aber dann rückt einem der "Tacobel canon" den Kopf wieder schief. Für romantisch gesinnte Klappspaten und solche, die es werden wollen.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Lex
  • Gettysburg
  • Wildcat
  • Kennedy

Tracklist

  1. Montanita
  2. Lex
  3. Gettysburg
  4. Wildcat
  5. Tropicana
  6. Loud pipes
  7. Kennedy
  8. Swisha
  9. Nostrand
  10. Tacobel canon
Gesamtspielzeit: 42:31 min

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