Spearmint - Paris in a bottle
Apricot / Rough TradeVÖ: 15.09.2006
Double frais
Um dieser Band den verdienten Tribut zu zollen, müssen wir für einen kurzen Moment in den Erinnerungen des Rezensenten kramen: ein kühler Oktoberabend im Jahre Zweitausendunddrei. Der junge Musikenthusiast betritt zum ersten Male diese pompöse und nach Eleganz strebende rechtsrheinische Metropole in Deutschlands Mittelwesten. Das Kunststück, die hiesige und berühmte Altstadt zu umgehen, gelang ihm leider nicht. Denn irgendwo in diesem Thekenstrudel sollte ein Club zu finden sein, der für den heutigen Abend britische Köstlichkeiten von Spearmint gebucht hatte. Ein einfaches Häuschen mit sterilem Fenster, ohne Aufmachung, ohne Erkennungsschild, ohne Hinweis auf gar nichts - das, mit dem gelbbeschildertem Kleinbus davor sollte es dann wohl sein. Also auf in den ansässigen Clubkeller. Wie viele Personen hier wohl Platz finden? Vierzig? Höchstens! Was dann kam: war Ekstase, war Hitze, war Lust, war Hypnose, war gelebte künstlerische Leidenschaft. Ein unvergeßlicher Abend, eine Garantie auf ein immerwährendes Liebesbekenntnis zwischen Band und Zuschauern.
Spearmint haben aufgegeben. Nicht im destruktiven Sinne. Einen wirklichen Sprung ins unscheinbare Becken von Glamour und Bekanntheit hat es eh nie gegeben. Spearmint, mit ihrem hochsympathischen Frontmann und schwer bebrilltem Blindfisch Shirley Lee, beleben den poppigen Untergrund nun seit 1995. Entstanden sind bis heute sieben Alben. Der unvergleichliche Hymnenlieferant "A week away" von 1999, ein Meisterwerk zwischen pulpschem Bombast und zauberhaftem Indiepop aus dem Herzen des Northern Soul, wurde bis heute nicht in den Schatten gestellt. Auch wenn jedes weitere Werk ein Grund zur hellen Freude war. Angekommen im Hier und Jetzt sind Spearmint genau so erfolgreich und bekannt wie zu ihrer Anfangszeit. Also kaum. Eine schnuckelige und über die Jahre begeisterte Fanschar hat man sich trotzdem erspielen können. Genau die darf sich nun seit geraumer Zeit an "Paris in a bottle" ergötzen – einem Konzeptalbum von Orientierungslosigkeit, der geliebten Jugend und dem beschwerlichen Weg von Verliebtheit, zu Liebe, zum Alltag.
Der Auftakt von "Paris in a bottle", "First time music", stellt jegliche kompensatorisches Bemühungen von Spearmint in den Schatten. Der Beginn einer Liebe unter Freunden in der Hauptstadt der Liebe. Die vorsichtige Annäherung der beiden Protagonisten erwächst zu einem Reigen an musikalischen Umschwüngen in mehreren Akten, die sich in plötzlichen Stops und Starts die Klinke in die Hand drücken. Es stolpert geradlinig von romantischer Schwelgerei in Zeitlupe zu euphorischer Expressivität, eingehüllt in Soul und Pop, ohne Gesang, mit vorgelesenen Lyrics. "Tuesday morning" ist die schlagartige Rückkehr in den Alltag. Eine objektive Lebensbetrachtung, die in stiller Schrammelei mit genügend Platz für Keyboards aus den Endachtzigern ihren Rhythmus findet. Wenn das Liebesband dann so langsam Risse erlangt und gut verpackte Bösartigkeiten zu Tage treten ("Psycho magnet"), greifen Spearmint in der Folge nach schwärzestem Humor. Entstanden ist eine Hymne, die nur schwerlich aus den Hörgängen zu verabschieden sein wird: "My girlfriend is a killer" beginnt kleinlaut und ängstlich. Gestiegene Wut steigert die melodiösen Strukturen eines Übersongs, bis die Tanzbarkeit erzwungen ist und sich herbe Männerchöre in Fußballlaune über den Song legen dürfen.
"Paris in a bottle" glänzt in Ganzheit. Lyrische Abgeklärtheit trifft auf Mut zur kurzzeitigen Opulenz, die bei Spearmint bisher nur sehr rar gesät war. Die stückweise Nähe zum Kitsch wird subtil umgangen. Und wenn die Akustikperlen dieses Albums zum Einsatz kommen, will man sowieso nicht mehr anfangen, nach der faulen Nadel im Heuhaufen zu suchen. Das Liebesbekenntnis steht, der Enthusiasmus schlägt Wellen. Spearmint leben hoch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- First time music
- My girlfriend is a killer
- The space
- Saturday rain
Tracklist
- First time music
- Tuesday morning
- Leave me alone
- Psycho magnet
- My girlfriend is a killer
- Wednesday night
- The competition
- The space
- What's wrong with breaking up anyway?
- Paris in a bottle
- Saturday rain
Referenzen
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