My Chemical Romance - The black parade

Reprise / Warner
VÖ: 20.10.2006
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ein letzter Tanz

Er war ein Schüler. Seine Lieblings-Shirt war das dunkelblaue, Größe "Small", seine Lieblingsband My Chemical Romance, damals Größe ebenso. Im Regal stand deren gerade erschienenes "I brought you my bullets, you brought me your love", an der Wand hing ein großes Poster. Ein wenig Zeit verging. Er wurde Austauschstudent. Sein Lieblingsfach war Geschichte, sein Studienbereich ebenso. Und so ging er ins Ausland, zwei lange Jahre lang. Er kam zurück. Und nichts war mehr so wie vorher. Im Regal stand kein "I brought you my bullets, you brought me your love" mehr, das Poster war verschwunden. Nein, nicht direkt verschwunden. Nicht im Sinne von einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt, nichts dergleichen. Denn aus dem Nebenzimmer seiner kleinen Schwester erklang Musik. Er kannte sie. Und machte die Erfahrung, die viele bereits in ihrem Leben so und so ähnlich gemacht haben, deren kleine Lieblingsrockband plötzlich auch die Herzen der anderen, der jüngeren, der vielen eroberten.

Herzen erobert, das haben My Chemical Romance spätestens seit ihrem Überflieger "Three cheers for sweet revenge" eine Menge. Das wird auch Eure kleine Schwester bestätigen können. Man kann es nicht genau sagen, warum, aber irgendwo zwischen der medialen Ausschlachtung von Gerard Ways Depressions- und Alkoholproblemen, Hochglanzcovern, Fernsehauftritten und Muttis Kajalstift ist ein Kult entstanden, der sich durch die zweifellos sehr gute Musik auf dieser Platte da allein mal wieder nicht erklären läßt. Merke: So einfach funktioniert das mit den modernen (Anti-) Helden nicht. Aber das war auch schon 1991 so. Die Älteren werden sich erinnern.

Wie dem auch sei, die Informationspolitik zum Nachfolgealbum, die war strikt. Erste Infos sickerten erst im Sommer dieses Jahres durch, und, legt man diese Platte auf, halten My Chemical Romance ein, was dort angekündigt wurde. Grob gesagt: Zugrunde liegt die Geschichte eines fiktiven Charakters, von ihnen nur "The patient" genannt, der stirbt, und sich, als der Sensenmann kommt, um ihn mitzunehmen, noch einmal mit Erinnerungen an sein irdisches Dasein konfrontiert sieht. Ja, ihr habt's erraten: Da ist mal wieder sehr viel Leid und Tod mit im Spiel. Wer hätte das gedacht? Aber das ist erst noch die halbe Miete. Der Twist kommt erst noch.

Denn, angelehnt an Seventies-Pomp und Glam, treibt "Welcome to the black parade" skurrile Stilblüten. Denn trotz dieses scheinbar bedrückenden Hintergrunds ist diese Platte eine einzige Party. Startschuß "The end", und dort kracht dann solch ein Feuerwerk aus Schunkelrhythmus, Alice-Cooper-Posing und Freddy Mercury-Stimmgewalt zusammen, daß er einem fast gar nicht auffällt, der junge Patient, wie er seinen eigenen Untergang zelebriert: "You've got front row seats to the penitence hall / When I grow up I want to be nothing at all." Wie sagt man: burn out, not fade away. Und das ist dann auch Programm.

Dabei passiert erst mal nichts arg Ungewöhnliches, ansonsten. "The sharpest lives", und "Dead!" sind prinzipiell mal der Undallejetzt-Poppunk, den man auch vor zwei Jahren schon gerne mitgegröhlt hat. Das ist ihr Metier, da kennen sie sich aus, das wissen wir auch. Die Single "Welcome to the black parade"? Dürfte auch bereits bekannt sein. Und die ist ja, wenn man mal von den ersten paar Minuten Marschmusik und der Brian-May-Lead absieht, jetzt mal nicht so ungewöhnlich. Wird wahrscheinlich als recht würdiger "I'm not okay (I promise)"-Nachfolger in Erinnerung bleiben. Ähnlich gestrickt ist das Ding ja sowieso. Sieht man jetzt mal von den Arrangements und dem Drumherum ab, das man sich schon ein bißchen bei "A night at the opera" abgeguckt hat.

So richtig grotesk wird's dann erst ab "Cancer". Ein tränenrühriges Teil, weißt Du. Das Klavier, der Streicherpomp, das könnte so für sich eine Mercury-Ballade sein, Gastauftritt Lennon, aber da ist noch Way, der "I'm just soggy from the chemo" drüberraunzt. Da werden sich die Geister dran scheiden, aber das sind auch die Reizpunkte, die My Chemical Romance setzen. Genau wie Liza Minelli (!), die plötzlich in den überdrehten Gypsy-Spack "Mama" reinsirent. Wir erinnerun uns an dieser Stelle ans Ende von Absatz Nummer vier, und das bißchen over the top muß hier einfach sein. Selbst "Teenagers" kriegt gerade eben noch die Kurve, das muß wohl daran liegen, daß man das noch als Hommage an die ollen T.Rex (!!) durchwinken kann. Dazwischen liegt aber auch viel Vakuum. Auch "House of wolves", obwohl stramm gerifft, und sowieso der ganze Schlußakt sind dann doch ein bißchen zu gewöhnlich geraten. Und insgesamt, trotz ihrem toll ausstaffierten Glitter: Eine irgendwo auch seltsame Platte. Mehr Ziggy Stardust als Shakespeare.

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The sharpest lives
  • Cancer
  • Mama

Tracklist

  1. The end
  2. Dead!
  3. This is how I disappear
  4. The shaprest lives
  5. Welcome to the black parade
  6. I don't love you
  7. House of wolves
  8. Cancer
  9. Mama
  10. Sleep
  11. Teenagers
  12. Disenchanted
  13. Famous last words
Gesamtspielzeit: 51:57 min

Im Forum kommentieren

Beefy

2019-03-28 10:03:54

Hat mir immer besser gefallen als der Vorgänger, der aber schon toll war. Würde nicht so weit wie Mister X gehen, aber ist immer noch eines der wenigen Alben des Genres, die ich auch heute noch gerne von vorne bis hinten durchhöre.

Mister X

2019-03-28 02:43:13

Wo sind denn die Aehnlichkeiten zu American Idiot. Bei den Gitarren ?

Freut mich aber dass das Album wieder im Gespraech ist. Fuer mich immernoch eine 10 und die Blaupause/Magnum Opus in dem Genre.

MartinS

2019-03-27 15:47:06

@False Flac:
Schön, dass du "Dead" anführst, der das Problem der Platte wunderbar auf den Punkt bringt: Ein toller Song, der aber mit Schnickschnack zugekleistert ist bis zum Erbrechen und in der zweiten Hälfte mit seinen Lalalas einfach nur noch nervt. "Welcome to the black parade" ist natürlich trotzdem das Highlight der Band. Ansonsten brauch ich das Album aber nicht.
Und ja, "Three cheers..." besteht eigentlich nur aus Hits.

Jaggy Snake

2019-03-27 12:18:55

Bin da ganz bei Martin und Affengitarre. Während der Erstling noch zu unausgereift war, hatte "Three Cheers" durchgängig Hits (auch wenn es fast schon überproduziert war). Black Parade war mir dann auch eine Spur zu kitschig und überladen.

Affengitarre

2019-03-27 12:08:25

"Three Cheers" hatte doch bis auf das Interlude nur Hits. Von vorne bis hinten stark.

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