
Wolke - Möbelstück
Tapete / IndigoVÖ: 06.10.2006
Nieselregen
Glücklichweise sind wir derzeit von einer Erneuerung der erneuerten deutschen Welle geschätzte eineinhalb Äquatorlängen entfernt. Zwar winkt die Kralle der Nostalgie aus dem Fernsehen entgegen, das Gefühl für Elektronikbeats mit Schutz- und Schirmfunktion ist dennoch in der Stratosphäre verschwunden. Es ist ein gutes Gefühl, wenn die hippen Turnschuhhüpfer mit Hang zu Stirnband und Frisuren aus einer längst vergessenen Zeit ihren Rausch ausschlafen müssen. Es ist hingegen kein gutes Gefühl, wenn perlendem Deutsch-Pop die Attribute dieser Maschinerie aufgedrückt werden. Oliver Minck und Benedikt Filleböck packen ihre Gefühle in Zuckerwatte. Und nur manche dürfen naschen.
Das Zauberwort heißt Melodie. Oder auch Harmonie. Und manchmal auch Koketterie. Denn was hier im Glanze eines hübschen Popsongs anschwebt, regt die Denkmuskulatur an, will sich frei entfalten und doch in eine Ecke gedrängt werden. Ein einfacher Beat, eine lakonische Pianomelodie und obendrauf Mincks klare Stimme. Wo sich "Sušenky" noch den Vorwurf der einfallslos aufgesteckten Rhythmen gefallen lassen muß, kann "Möbelstück" durch dramaturgisch reizende Beatadaptionen aufwarten. Zwischen Augenzwinkern und Petition zum Tanzen.
Gemeinsam mit Suzie Kerstgens von Klee am Mikrofon zirkeln Wolke mit "Wir werden immer jünger" eine aufgeladene Pianoballade an den Rand der Melancholie. Filleböck spielt eine zärtliche Melodie, Minck haucht: "Auch wenn es nicht so aussieht / Wir werden immer jünger / Das Gegenteil von Tod." In weiter Ferne wabert das traurige "Drei Worte" zwischen Depression und Gefühlschaos durch die Nacht, während man schon eine Runde zuvor erschrocken die Augen aufreißen mußte. "I want to break free" heißt der Hit, Queen die Band. Wolke zwängt diesen in das teuflische Gewand des deutschen Schlagers und übersetzt frei ins Deutsche: "Ich will mich befreien." Uff. Luftholen. Denn der Song verspricht genau das, was er auch halten wird.
Der einzige Totalausfall kann spätestens durch das tiefsinnige "Mein kleiner Schmerz" abgelegt werden. Elektrisierend schleicht sich der Song über die Hintertür zum großen Finale empor und explodiert mit einem Saxofon im Nachthimmel der Träumerei. Zwischen detailverliebter Textarbeit und leidenschaftlichem Leisetreten erfreut man sich an der Abwesenheit von Schnörkel, Pathos oder Effekthascherei. Wolke suhlen sich im Understatement der vertrackten Einfachheit. Noch eine Prise Salz, ein bißchen Pfeffer und: die Nächste, bitte.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Second hand Gefühl
- Wir werden immer jünger
- Mein kleiner Schmerz
Tracklist
- Second hand Gefühl
- Walzer No. 1
- Schlimmer
- Wir werden immer jünger
- Möbelstück
- Ich will mich befreien
- Drei Worte
- In einem anderen Leben
- Maybe
- Radfahren, lesen, Freunde treffen
- Mein kleiner Schmerz
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