Charlotte Gainsbourg - 5:55
Because / WarnerVÖ: 08.09.2006
Moon safari
"We wish you all a very happy pleasant flight / This is a journey to the center of the night." Charlotte Gainsbourg, mittlerweile auch schon fünfunddreißig und Tochter von Naihrwißtschon, hat ihren zweiten Longplayer aufgenommen. Das ist insofern eine besondere Erwähnung wert, als daß ihr Erstling - der Soundtrack zum Film "Charlotte for ever" - bereits ganze zwanzig Jahre zurückliegt. In der Zwischenzeit hatte sie sich auf ihre Schauspielkarriere konzentriert ("Les Misérables", "21 Gramm") und eigentlich beschlossen, nie wieder in ein Mikrofon zu hauchen.
Aber man weiß ja: In den schönsten französischen Filmen geht es immer um leidenschaftlich performte Untreue. Bei Madame Gainsbourg nun also auch - selbstverständlich nur den Nie-mehr-singen-Vorsatz betreffend. Denn ansonsten ist naturellement alles très bien mit l'amour et la famille, dem Schauspieler-Regisseur-Ehemann Yvan Attal und den zwei garantiert entzückenden Kindern. Charlottes Stimme - für Uneingeweihte nur mit Mühe von der ihrer Mutter Jane Birkin zu unterscheiden - könnte man übrigens in den letzten Jahren gleich bei zwei Gelegenheiten unbewußt vernommen haben: sprechend am Anfang von Madonnas "What it feels like for a girl" und singend im Hintergrund von Badly Drawn Boy, der anscheinend nicht nur "Have you fed the fish?" gefragt, sondern auch erfolgreich einen Zettel mit "Voulez-vous chanter avec moi?" aus seiner Strickmütze gezaubert hatte.
Auf dem Zettel zur Zweitwerk-Planung hingegen stand anfangs nur ein einziges Wort: Konzeptalbum. Aber zu welchem Thema bloß? Die nervenaufreibende Suchphase könnte man sich ungefähr so vorstellen: Nächtelang lag Charlotte wach und zerbrach sich bis morgens um "5:55" ihr hübsches Köpfchen über mögliche Konzepte, um dann schließlich einfach ein Album über die Nacht und das Wachliegen und Sinnieren zu machen. Ganz schön clever. Man könnte nun drittklassig wortwitzig vermuten, daß ihr beim anschließenden Brainstorming zum Thema spontan Monsieur Dunckel von Air einfiel. Aber die Wahrheit ist: Für Madame Gainsbourg stand von Anfang an fest, daß sowieso nur Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel als musikalische Leiter für ihr Projekt in Frage kämen. Praktisch, daß man sich zufällig auf einem Radiohead-Konzert traf und auch noch Produzent Nigel Godrich (Radiohead, Beck, Travis) zugegen war.
Die Besetzung klingt irgendwie interessant? Es geht noch weiter: Als versierte Texter wurden Jarvis Cocker und Neil Hannon (The Divine Comedy) verpflichtet, Becks Vater David Campbell arrangierte dicht geknüpfte Streicherteppiche aus Angorawolle. und Air unternahmen noch einmal eine "Moon safari". Ergebnis: elf Stücke von hypnotischer Schlichtheit (immer) und schlichter Schönheit (erfreulich oft), mit charakterstarkem Klavier (herausragend: "Everything I cannot see"), spieluhrigem Nicht-von-dieser-Welt-Glockenspiel, dem königlich perkussionierenden Tony Allen und sogar einem Bodybuilder-Baß ("The operation"). Auch ohne Charlotte Gainsbourgs zweifelsohne sehr charmantem Gehauche und Gesäusel wäre "5:55" eine gelungene Chill-Platte - umgekehrt würde das vermutlich etwas anders aussehen. Aber wenn Madame sich in "Night-time intermission" amüsiert selbst mit albernen Interviewfragen ("What's your favourite colour?") löchert, dann ist das schon ganz großes Kino. Und allemal eine durchwachte Nacht wert.
Highlights & Tracklist
Highlights
- 5:55
- The operation
- Night-time intermission
- Everything I cannot see
Tracklist
- 5:55
- AF607105
- The operation
- Tel que tu es
- The songs that we sing
- Beauty mark
- Little monsters
- Jamais
- Night-time intermission
- Everything I cannot see
- Morning song
Referenzen
Spotify
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