¡Forward, Russia! - Give me a wall

Dance To The Radio / Cooperative / Rough Trade
VÖ: 04.08.2006
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Schnelle Nummern

Irgendwas ist suspekt an dieser Band. Irgendwas? Alles! Angefangen beim unglaublich häßlichen Cover, das wohl rausgekommen ist, als jemand beweisen wollte, daß Schimpansen sehr wohl malen können. Weiter beim Bandnamen, der als vermutlich einziger außerhalb des spanischsprachigen Raums mit einem umgekehrten Ausrufezeichen beginnt und die Weltherrschaft nach Osteuropa wünscht. Bis hin zu den Songtiteln. Die bringen nicht etwa die Essenz der Refrains auf den Punkt, wie es anderswo üblich ist. Nein, sie tragen Nummern. Man lasse seinen Blick kurz gen Tracklist schweifen: Der Opener heißt "Thirteen", die Single "Eighteen", der Bonustrack der deutschen Edition "Fourteen". Diese Nummern geben die Rangfolge an, in welcher die Songs in der Bandgeschichte geschrieben wurden. Praktikabel ist das ja nun nicht. Wetten: Wenn diese Band vor ihren Auftritte die Setlist auf weiße DIN-A4-Zettel kritzelt, weiß sie schon während des Konzerts nicht mehr, welcher Song welcher ist. Haben die denn vollkommen einen an der Waffel? Oh ja.

Auf den offiziellen Fotos posieren die vier in knallengen Einheitsshirts mit den beiden Ausrufezeichen drauf. Diese tragen sie auch auf der Bühne. Was uns einmal mehr zu der Erkenntnis bringt, daß die Welt einfach mehr weibliche Drummer braucht. Katie Nicholls ist vielleicht nicht der absolute Blickfang wie die Quotenfrauen anderer Bands, verkörpert aber perfekt den Sex, den Schweiß, die Hitze dieser Band. Den Temperaturreigen von Schockfrostung bis zum Lötkolben. Jedenfalls tun die vier aus der neuen britischen Musikhauptstadt Leeds alles, um ihrer Band Profil zu verleihen. Man will, ja muß heutzutage eben mehr bieten als nur gute Songs, man braucht Ecken und Kanten, möglichst gar eine Geschichte. Und wenn man sich eben nicht im Puff kennengelernt hat (Zumindest hat sich noch kein Interviewer getraut, das die Schlagzeugerin zu fragen), muß man sich eben was einfallen lassen. Pure Energie reicht nicht. Ist aber schon die halbe Miete, wenn man erstmal auf ¡Forward, Russia! aufmerksam geworden ist. Die vier Briten fühlen sich an, als säße man mitten in einem Eiswürfel, der in kochendes Wasser fällt und mit einem lauten Krachen auseinanderbricht. Ruckartig tanzen die Sinne mit den Extremitäten Ringelreihe.

Einfachste Mittel verschmelzen bei ¡Forward, Russia! zu Komplexem, Neuem. Stampfende Drums, Gitarren, die machen, was sie wollen, ruckartige Keyboardüberfälle liefern die Basis. Dazu kreischt eine hysterische Stimme, die klingt, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor und als könnte man die Stimmbänder nun völlig schrotten, weil sie eh nie wieder gebraucht werden würden. Daß man von den Texten kaum was versteht, liegt nicht nur an diesem Organ, sondern auch an den Texten selbst. "Perhaps we all Van Gogh our hearing of pieces but we're assured of the existence of a better way." Häh? Wenn man sich da zu tief reinsteigert, könnte man sich glatt ein Ohr abschneiden wie der olle Vincent. Aber dann könnte man diese Platte ja nicht mehr stereo hören. Wär also nicht so empfehlenswert.

Das Fabelhafte an "Give me a wall" (immerhin hat man das Album nicht "One" genannt, es besteht also noch Hoffnung) ist: Es ist Gebrauchsmusik einerseits, Kunst andererseits. Man kann auch ohne eingehende Beschäftigung einen Riesenspaß mit dem Album haben. Weil ein Hit den anderen jagt und dann doch beide Kopf an Kopf schneller sind als der Rest der Welt. "Twelve" ist so ein Übersong, der in zwei Minuten vierzehn mehr schafft als andere auf einer ganzen Platte. Das zweigeteilte "Fifteen" sorgt für Schwindel sondergleichen. Das glücklichmachende "Eighteen" ist mit Gestampfe und Geklimper die bestmögliche Auskopplung. Und Stücke wie "Sixteen", bei dem Miss Drummer mitsingen darf oder das gut siebenminütige Krachinferno "Eleven" stehen für eine andere Seite der Platte, die zunächst verwirrt, die jedoch auch beim Nebenbeihören funktioniert und ein Gefühl weiter verstärkt. Es ist das Gefühl, daß diese Platte noch viel mehr zu bieten hat, Potential für einige Monate, wenn man denn nur mal tiefer reinsteigt. Wer sich traut, möge voranschreiten. Wie kommen wir aus der Sache nur wieder raus?

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Twelve
  • Fifteen Pt. I
  • Eighteen

Tracklist

  1. Thirteen
  2. Twelve
  3. Fifteen Pt. I
  4. Nine
  5. Nineteen
  6. Seventeen
  7. Eighteen
  8. Sixteen
  9. Seven
  10. Fifteen Pt. II
  11. Eleven
  12. Fourteen
Gesamtspielzeit: 52:33 min

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