Tortoise - Standards

Warp / Zomba
VÖ: 19.02.2001
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Let there be post rock

Es gibt böse Zungen, die behaupten, wenn Tortoise Rock'n'Roll machen würden, wären sie wahrscheinlich eine dieser gefürchteten Stadionbands. Möglicherweise würden sie ihre Zuschauer mit "Clap you hands!" oder "Are you ready to rock?"-Rufen und endlosen Schlagzeugsoli nerven. Alle zwei Jahre würde dann eine neue, noch bessere, noch gigantischere Platte mit immer wieder neuen, alten Rock-"Standards" herauskommen, eben genau das, was das Publikum von der Band erwartet: die volle Breitseite. Frei nach dem Motto "You wanted the best - you got the best!" Ganz so weit ist es aber dann doch noch nicht. Der Innovationsbonus der Erfinder des Postrock ist zwar jetzt nach drei LPs und diversen EPs verbraucht, und so gab es schon zur letzten Platte "TNT" nicht nur positive Stimmen über die ehemaligen Kritikerdarlings rund um John McEntire. Aber all die Vorwürfe, daß es sich mit dem 1998er Werk eigentlich nur um einen besser produzierten Aufguß des ersten und zweiten Albums handeln würde, schienen der Band nicht viel auszumachen. Auch auf der gerade veröffentlichten Platte "Standards" merkt man nämlich kaum etwas vom angekündigten Richtungswechsel der Band aus Chicago.

Im Gegenteil, man besann sich diesmal wieder eher auf die ungeschliffenen frühen Großtaten. McEntire, der ja nebenberuflich auch noch für The Sea And Cake trommelt, und seine Leute schraubten dieses Mal die Breitband-Effekte von "TNT" wieder ein bißchen zurück und ließen zum größten Teil auch den Computer im Schrank. Das tat dem für Tortoise so typischen relaxten Zusammenspiel von Gitarre und extratiefem Bass vermischt mit warmen Syntheziser-Klängen sehr gut. Vorzeige-Kompositionen wie das fantastische "Benway" oder das perfekt betitelte und im wahrsten Sinne des Wortes erfrischenden "Six pack" sind mit ihren zurückgelehnten Sound als Markenzeichen der Band zu verstehen. Aber auch die eher untypischen Stücke wie "Eros", das an die Kollegen von Trans Am erinnert oder der für Tortoise-Verhältnisse schon fast aggressive Opener "Seneca" wissen zu überzeugen. Überhaupt scheint die Lust am Hackenschlagen in "schräge" und unvorhersehbare Richtungen à la "Djed" wieder mehr im Vordergrund zu stehen. Die diversen klanglichen Ausflüge auf dem geradlinigeren Vorgänger schienen ja eher gezwungen und klangen so teilweise unausgegoren. Auf dem neuen Album jedoch ordnen sich die Experimente wieder dem Song unter und sorgen so für genau die Frische, die Tortoise dadurch immer noch ausmacht.

Wie immer ist die Zusammenstellung der Tracks auch auf "Standards" wieder perfekt gelungen. So verspürt man auch nach mehreren Durchläufen nicht den Drang, die für die meisten Alben in diesem Genre unbedingt erforderliche Skip-Taste am CD-Player gelangweilt zu betätigen. Nein, da hat sich jemand im alten Vinyl-Stil Gedanken über den Ablauf gemacht und so hat man auch noch nach mehrmaligen Hörgenuß Freude daran, das ganze Werk durchzuspielen. Ob jetzt auf dem nächsten Epos endlich der große Umbruch in der musikalischen Richtung von Tortoise stattfindet oder wieder nicht, weiß wohl nicht mal Studiobastler John McEntire selbst genau. Es wird auch bei all den Nebenprojekten des Meisters sicher wieder eine kleine Ewigkeit dauern, bis wir dies erfahren werden. Es bleibt zu wünschen, daß die Schildkröten in der Zwischenzeit kein "Greatest hits"-Album herausbringen. Das wäre dann nämlich wirklich peinlich.

(Thomas O. Huber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Benway
  • Six pack
  • Monica

Tracklist

  1. Seneca
  2. Eros
  3. Benway
  4. Firefly
  5. Six pack
  6. Eden 2
  7. Monica
  8. Blackjack
  9. Eden 1
  10. Speakeasy
Gesamtspielzeit: 44:25 min

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