Muse - Black holes and revelations
A&E / WarnerVÖ: 30.06.2006
Der wüste Planet
Matthew Bellamy hat sich inzwischen eine gewisse Narrenfreiheit erarbeitet. Das Bübchen ist einfach so schnuckelig einerseits und so unnahbar andererseits, er muß einfach brillant sein. Egal, ob Muse mit "Showbiz" die famose Supernova des Britrock entflammt, mit "Origin of symmetry" ein Aufgüßchen gepanscht oder mit "Absolution" am eigenen Denkmal gesägt haben: Die Fangemeinde ist treu ergeben wie bei kaum einer anderen Band. Wenn Matthew Bellamy die Hand überm Keyboard ausrutscht, jauchzt die Fanmeute ob der ergreifend dissonanten Akkorde. Und wenn er nach dem Aufstehen dreimal pupst, halten sie's gleich für Beethovens Neunte.
Insofern konnte auch für "Black holes and revelations" wenig schief gehen. Für die Wahrnehmung von Muse in Fankreisen gilt: Wer nichts wagt, hat gewonnen. Und wer etwas wagt, hat automatisch auch gewonnen. Diesmal sollte letzterer Fall zu erwarten sein, das ganz große Risiko! Schon über die Single "Supermassive black hole" nämlich war im Vorfeld zu hören gewesen, sie klänge nach Prince. Nun ja, Superstar Alexander Klaws behauptet auch bei jedem Album, es sei noch rockiger als das letzte. Die große Verblüffung stellte sich ein, als die Single tatsächlich zu hören war. Die Wahrheit ist: Sie klingt nicht nur irgendwie nach Prince, hat sich nicht davon inspirieren lassen oder einen Beat kopiert. Nein: "Supermassive black hole" klingt eins zu eins, hundertprozentig, absolut nach Prince. Aber wie. Weniger böse Zungen könnten sagen, der Song macht auf "Prince des kleinen Mannes". Wobei die böseren unter den Zungen dann anmerken werden, daß der schon ziemlich klein ist. "Supermassive black hole" würde in seiner Winzigkeit also gar nicht auffallen, wenn es nicht derart aufgeblasen wäre.
Und jetzt also das passende Album. Meine Herren, alleine schon diese Songtitel! "Map of the problematique", "City of delusion", "Assassin", "Hoodoo", "Invincible", "Exo-politics". Tickt dieser Matthew Bellamy noch richtig? Weilt er noch bei den Erdlingen? Oder ist er längst irgendwo? Mit dem Kopf in den Wolken, mit den Füßen im Erdkern mitten in der brodelnden Lava, mit dem Hirn im Mixer auf 180 und mit den Fingern im Krater vom Mann im Mond? Mal davon abgesehen, daß das rein anatomisch gesehen schon recht schmerzhaft sein könnte, fragt man sich auch bei einigen Songs, was Muse denn hier wohl geritten hat.
Vorneweg noch die gute Nachricht: Am besten sind Muse auch auf "Black holes and revelations" genau dann, wenn sie die Ambition Ambition sein lassen und eine schnörkellos glitzernde Perlenkette an Tönen aufreihen, an der sich Matthew Bellamy mit seiner nach wie vor wunderbar exaltierten Stimme hin- und herhangelt. "Starlight" ist mit dem klimpernden Piano und wenig weiterem Schnickschnack ein absoluter Klassesong, der kein bißchen zu viel und deswegen alles richtig macht, der es sich sogar leisten kann, auf einen richtigen Refrain zu verzichten. Auch "Assassin", "Exo-politics" und "Map of the problematique" schlagen erfolgreich in dieselbe Kerbe, indem sie zwar überkandidelt sind und weiter gehen als die meisten Bands, jedoch keinen Schritt zu weit.
Aber der Rest? Man stelle sich einen übergroßen Versuchsballon vor, in den unendlich viel Luft gepumpt und der mit derart vielen spitzen Gegenständen gefüllt wird, daß er früher oder später einfach platzen muß und einem das ganze Gedöns um die Ohren haut. Das sechsminütige "Knights of Cydonia" beginnt wie Electrocountry oder die Rocky Horror Picture Show auf schlechten Drogen und biegt in eine "Bohemian rhapsody" ein, die das olle Duo aus Wayne's World nie im Leben auf dem Vordersitz mitschmettern würde, ja die sogar denen die gute Laune rauben würde. Auch "Soldier's poem" macht in Queen, ist aber not amused. Und ganz gleich, ob man die Tröte in "City of delusion" nimmt, die wildgewordenen Keyboards und Halleffekte in "Take a bow" oder den Westernauftakt von "Hoodoo": Fast jeder Song hat nicht nur ein Gramm Fett zu viel, sondern ist ein ernster Fall für die Weight Watchers.
Form follows function? Nein. Es wird zwar eine Menge Wind gemacht, es werden Störfeuer gelegt, Blitze losgelassen, die Sterne durcheinandergewirbelt, Stimmbänder überstrapaziert, Gitarren gequetscht, Effekte geknautscht. Und wenn der Kern um all das Drumherum stimmen würde, wäre "Black holes and revelations" vielleicht das Album des Jahres. Aber nicht jede Eskapade stellt sich in den Dienst des Songs. Während man sich an "City of delusion" oder "Knights of Cydonia" nach dem ersten Schock durchaus gewöhnen kann und damit immerhin beim halben Album der Daumen nach oben ragt, hätte es manch anderer Song nötig, ein wenig Rückenwind zu bekommen. Denn was sich unter den Deckmänteln verbirgt, ist als reine Komposition bisweilen jämmerlich. Ob das diesmal auch die Fans einsehen? Wacht auf! Was Muse hier streckenweise aufziehen, ist über manche Strecken keine Symphonie des 21. Jahrhunderts, sondern Schwachsinn in XXXXL. "Black holes and revelations"? Ja doch, dieses Album hat jede Menge schwarze Löcher. Es ist aber alles andere als eine Offenbarung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Starlight
- Map of the problematique
- Assassin
Tracklist
- Take a bow
- Starlight
- Supermassive black hole
- Map of the problematique
- Soldier's poem
- Invincible
- Assassin
- Exo-politics
- City of delusion
- Hoodoo
- Knights of Cydonia
Im Forum kommentieren
Croefield
2024-08-02 00:33:40
Wir haben dazu nie ne Session geschafft
Eines Tages... (:
Dagon
2024-06-26 17:41:42
Definitiv mein Lieblingsalbum von Muse. Hier greifen die rockigen, die klassischen sowie die elektronischen Elemente perfekt ineinander, was auf den späteren Platten immer weniger gelang.
Es fällt mir auch schwer, einzelne Highlights herauszugeben, aber "Starlight", "Map of the problematique", "City of delusion", "Invincible", "Knights of Cydonia" sind schon sehr geil.
Huhn vom Hof
2024-06-26 12:06:36
"Easily" ist auch eine tolle B-Seite.
The MACHINA of God
2024-06-26 01:38:56
Grad happy, dass digital noch "Glorious" hintendran hängt. Toller Song, der selbst auf dem Album ein Hightlight wäre.
The MACHINA of God
2024-06-26 01:30:38
Was mir grad beim lauthals mitsingen wieder auffällt: Bei den Texten fühl ich mich echt an gewisse Telegram-Gruppen erinnert. Gott sei Dank kann ich das irgendwie ausblenden dank der tollen Melodien. Bei "City of delusion" grad wieder ein Meer aus Gänsehaut. "Hoodoo" find ich in seinem Ausbruch auch ganz toll. Und jetzt galoppiert es gen Ende.
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